Bauhaus Dessau

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Bauhaus Dessau

Beitrag von Johanna »

„Und wenn Sie glauben Sie sind am ?!? der Welt…
….dann sind Sie immer noch in Dessau - da kommt dann das Kornhaus“

100 Jahre Bauhaus – es wird umgebaut, angebaut, restauriert. Bauhaus, ich dachte es wäre so etwas wie Obi oder Praktiker oder Toom-Markt. Weit gefehlt. Uwe meinte er könne das nicht so genau erklären, das müsste man sehen. Es wären Alltagsgegenstände die man vor vielen Jahrzehnten neu konzipierte, die heute überall in Gebrauch sind. Alt und doch wieder in ihrer Funktionalität neu.

Bauhaus ist eigentlich eine philosophische Art zu leben – klar, ohne Schnörkel, minimalistisch. Vor hundert Jahren gründete Henry van de Velde die großherzoglich-sächsische Kunstgewerbeschule in Weimar. Als der Belgier wegen des 1. Weltkrieges Deutschland verlassen musste, schlug er als Nachfolger Walter Gropius vor. Gropius der es verstand Kunst und Handwerk unter einem Dach zu vereinen. Gropius der es auch fertig brachte Künstler wie Paul Klee, Oskar Schlemmer, Kandinsky und andere zu verpflichten. Gropius der bei der Übernahme bereits einen Namen hatte, besass die seltene Gabe der Vermarktung und war ein Genie der Selbstinszenierung wie man schnell feststellte.

Im Jahr 1925 siedelte das Bauhaus von Weimar nach Dessau um. Hier wurden dann die Ideen zum Entwerfen von Architektur, Möbeln, Alltagsgegenständen sowie Verständnis zu Tanz, Musik und Kunst zu einer Einheit zusammengeführt. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Kunst und Handwerk unter einem Dach sollten ineinander greifen. Dieser Ansatz umschloss auch eine neue Pädagogik und ein neues Grundverständnis von Körperlichkeit und Teamgeist. Als einmaliger Ort der Avantgarde entstand das heute weltberühmte Hochschulgebäude.

In Dessau stehen heute die Meisterhäuser. Im ersten Haus (Meisterhaus) lebte immer ein Architekt. Die Häuser sehen aus wie aus Würfeln zusammengesetzt, was trotzdem immer wieder diverse Raumverschiebungen möglich machte.

Für die grosse Bauhausausstellung 1923 liess Walter Gropius ein exemplarisches Arbeitszimmer entwerfen, um nach dem von ihm formulierten Konzept „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ die Zusammenarbeit der Werkstätten zu demonstrieren.Die geometrische Abbildung des Raums in dem alle Gegenstände bis hin zu Teppich, Schreibutensilienragel, Wandbespannung und Leuchte auf das Quadrat bezogen sind zeichnete der spätere Bauhauslehrer Herbert Bayer. Es war ein Zimmer wie vom Fliessband der Bauhauslehre und das genaue Gegenteil was in den zwanziger Jahren sonst als gemütlich, wohnlich oder repräsentativ gelten mochte. 1997 entschloss man sich das in der Bauhausgeschichte ikonisch gewordene Zimmer des Gropius zu rekonstruieren. Es wird von einem Architekten G. Oschmann jahrelang recherchiert. Man konnte kaum glauben, dass der Direktor im Direktorenzimmer wirklich auf diesem Stuhl gesessen haben soll. Dieser Stuhl gehört nicht in die Kategorie Sitzmöbel sondern zum Strafbestand vorsätzlicher Körperverletzung. Dieser Stohl am Schreibtisch drückt in den Rücken, die Ellbogen werden hinterrücks von den Lehnen drangsaliert aber vor allem: ohne selbst ein Titan zu sein 183 cm in der Höhe messwend schafft man es einfach nicht, die Knie unter den Tisch zu zwängen. Man sitzt auf Gropius Schreibtischstuhl wie in einer zum Möbelstück gewordenen Zwangsjacke. Auch der Stuhl ist ein Quadrat, wie alles in diesem Raum, der selbst eine Kantenlänge von 5 mal 5 Metern hat. Das Büro als Leben auf Millimeterpapier. Reiner Irrsinn – wäre auch der Hintern ein Quadrat würde sich das Ganze swohl fügen doch so muss man sagen: Der Mensch entzieht sich der Bauhauslehre die ihm am Dingens vorbeigeht. Colani ein Designer der fast so alt wie das Bauhaus geworden ist (90 Jahre) sagte einmal: „Wie kann so ein Idiot etwas eckig machen, wo ein runder ?!? drauf kommt“.

Das Haus Auerbach in Jena von 1924 ist eines der ersten privaten Wohnhäuser, die nach dem Baukastenprinzip von Walter Gropius geplant wurden.

Marcel Breuer wird Jungmeister und Leiter der Möbelwerkstatt. In Kooperation mit den Junkers Flugzeugwerken entwickelt er eine Reihe von Stahlrohrstühlen.Unter anderem auch den Wassily Stuhl. Die Stahlrohrstühle der Bauhausdesigner waren revolutionär. Noch heute verkaufen sich die Klassiker hervorragend – und auch die Fertigung hat sich seit 90 Jahren kaum verändert – bis auf ein paar Details.

Dass sich Designer und Architekten vom Bauhaus für die Firma Thonet interessierten, dürfte kein Zufall gewesen sein. Der Firma gelang es schlichte Möbel herzustellen und zwar für einen Preis, der selbst für einen Arbeiter erschwinglich war. Architekten wie Wagner, Loos oder Le Corbusier begeisterten sich für die minimalistischen und modernen Thonet-Stühle und verwendeten sie für ihre Häuser. Sie wollten allerdings mehr: wenn sie Holz biegen können, dann können sie auch Stahl biegen soll nach einer Anekdote Marcel Breuer Mitte der Zwanziger Jahre der Firma erklärt haben. Der ungarische Leiter der Tischlereiwerkstatt erprobte gerade Stahlrohr als Material für seine Möbel. Ein Fahrradlenker soll ihn dazu inspiriert haben.
Es stecken erstaunlich viele Handgriffe in einem Stuhl. Es wird gelötet, poliert, geschliffen, gebeizt und genäht. Das macht jedes Sitzmöbel dank deutscher Tariflöhne teuer aber auch irgendwie wertvoller. Bis in die zwanziger Jahre galt Stahlrohr noch als viel zu kalt für eine Wohnung.

Warum vier Beine nehmen, wenn zwei ausreichen? Wer war der Erfinder der Freischwinger? Diese Frage musste vom Gericht geklärt werden da sich ein cleverer Patenthai die Rechte an dem Stuhl sicherte. Obwohl hinterbeinlos ja wie amputiert klingt war gerade das Weglassen der zwei Beine die grandiose Leistung dieses Entwurfs. Dieser Stiel passte zu den schwebenden Balkonen des Bauhausgebäudes von Walter Gropius in Dessau. Aber auch Mies van der Rohe und Mart Stam statteten ihre Häuser mit diesen Freischwingern aus. Ein Stuhl für die Zukunft sozusagen. Heute findet man diese Stühle immer noch in Arztpraxen, Krankenhäusern und Büros.

Herbert Bayer avancierte zum Leiter der neuen Werkstatt für Druck und Reklame und setzte die Kleinschreibung am Bauhaus durch.
Marianne Brand organisierte eine Zusammenkunft mit zwei Herstellern und so gehen bald Tisch- Wand- und Stehlampen in Serienproduktion. Die Nachttischlampe wird ein Verkaufsschlager.
Die Bauhaustapete von Maria Rasch kommt auf den Markt und wird das ertragreichste und erfolgreichste Produkt der Schule

Georg Muche erinnerte sich Anfang der 1960er Jahre an Diskussionen mit Marcel Breuer über die Wandfarbe in seinem Schlafzimmer.
„Überraschend war die Lösung die er für mein Schlafzimmer fand. Er strich es schwarz an. Schwarz sei die Farbe des Schlafs, welche die Erinnerung an die Wirklichkeit am schnellsten vergessen lasse. Ich machte den Einwand dass streng genommen, schwarz die Farbe des Todes sei und wünschte mir ein wenig Blau oder wenigstens Blaugrau an die Zimmerdecke.
Der Architekt rechtfertigte jedoch seine Auffassung mit guten Gründen. Er sagte:“Schwarz ist die Farbe des Todes nur dann, wenn es matt auf rauhem Grund steht. Auf geglätteter Fläche hochglänzend wirkt es nicht dsüster. Je nach dem Einfallswinkel des Lichtes und nach der Farbe der Lichtquelle reflektiert es weisses oder auch buntes Licht.“
Meinen Wunsch nach der mitternachtsblauebn Decke hielt er für Hirtenjungen-Romantik. Er sei für poliertes Schwarz. Als ich von einer Reise zurückkam, war mein Zimmer schwarz gestrichen, I ch legte mich schlafen und wäre dankbar gewesen, wenn über mir ein wenig Blau geschimmert hätte. Denn hinter der abgeschirmten Lampe der Decke verlor sich ohne die versprochenen Reflexe das lackierte Schwarz in raumlosen Tiefen, die weiter zu reichen schienen als die kosmische Kuppel nächtlichen Himmels. Am Morgen begriff ich meine neue Lage. Ich erinnerte mich an die tröstliche Wirkung der weissen Reflexe und fand an Wand und Decke das weisse Bettzeug gespiegelt. Ich erschrak als ich mich erhoben hatte und sah wie mein nach Gottes Plan geschaffener Leib von den Unebenheiten der vier Wände verquollen und zerfetzt surrealisiert und reflektiert wurde. Nach dieser Demonstration habe ich das Schlafzimmer nie wieder betreten. Es wurde mit Koffern und überflüssigem Hausrat voll gestopft. Dafür hätte auch weiss ausgereicht.

Das 1926 gebaute Hochschulgebäude von Walter Gropius ist eine Ikone der Moderne Es umfasst ein vielfältiges Raumprogramm. 1928 verliess Gropius das Bauhaus und ging nach England, später in die USA. 1933 wurde das Bauhaus aufgrund des Drucks der NSDAP aufgelöst, Klee emigrierte in die Schweiz, Kandinski nach Frankreich. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, kam das Bauhaus zurück nach Deutschland. 1947 und 1948 besuchte Gropius das zerbombte Berlin. Als offizieller Architekturberater für die amerikanische Besatzungsmacht hielt er Vorträge über den Wiederaufbau.
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