es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne....

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne....

Beitrag von Johanna »

Mein heutiger Teilbereicht passt ganz prima zu Mamas Beitrag - denn wir waren im Ledermuseum in Offenbach. Da dieses Thema aber so umfangreich ist, musste ich es einfach unterteilen.


„Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne….

...als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss“ schrieb Karl Kraus 1909

Im Märchen Aschenputtel symbolisiert der Schuh die romantische Liebe, da der Schuh nur einer Trägerin passt und der Prinz schliesslich diese Frau heiratet. Die sexuelle Begierde gilt im Schuhfetischismus dem leblosen Objekt und lässt die Eigenschaften der Trägerin und auch die Schönheitsideale ganz in den Hintergrund treten.

Unter diesem Aspekt sahen wir Schuhe aus allen Kulturkreisen – vergoldete Balletheels von 1935, Gin-Lien-Schuhe aus China um 1900, Mandschuh-Stelzschuhe mit viel Holz, Hausschuhe der letzten Geliebten von Goethe, ein Kinderschuhfragment aus dem 2. Jhd. n. Chr., die Brautstiefel der Fürstin von Metternich um 1860, einen Zehenkammernschuh von 1907, einen koptischen Schuh aus Ägypten des 14. Jahrhunderts. Es waren kleine Kindermokkasins von 1875 reich mit Perlen bestickt neben den Ledermokassins der Erwachsenen ausgestellt.

Doch zu allererst betraten wir nach dem Bezahlen des Museumseintritts einen Saal, der mit „Leder von A – Z“ bezeichnet wurde. Hier standen viele grosse Medientische mit Glasplatten. An den Rändern dieser „Tische“ waren unzählige verschiedene Lederstücke angebracht. Wenn man diese Lederstücke anfasste, sie genüßlich mit den Fingern befühlte dann konnte man beim Drücken auf diesen Teil der Glasscheibe lesen, wie dieses Leder hiess, welche Eigenschaften es hatte, von welchem Tier es stammte usw.

Krokodilhaut, Haifischleder, Elefantenleder, Bindenwaranleder und auch Kaugummi, sowie Hühnerbeinleder waren unter anderem ausgestellt und befühlbar. Känguruhleder ist sehr reißfest, obwohl es mit einer durchschnittlichen Dicke mit einem Millimeter sehr dünn ist.

Rentierleder z.B. ist sehr weich, jedoch von seiner Struktur her widerstandsfähig und sehr langlebig. Daraus werden z.B. Kinderstiefel der Inupiat in Alaska angefertigt. Die kleinen Mädchen lernen mit diesem Leder Puppen herzustellen und lernen so auch den Gebrauch von Sehnen, Fell und Leder.

Seehundleder gehört z.B. zu den dauerhaftesten und wertvollsten Portefeuilleledern. Die Seehundhaut war einst eine der wichtigsten Rohhautprodukte der Menschen in den Polarregionen. Meist wurde es getrocknet und nicht gegerbt.
Lachsleder ist elastisch, reißfest und wasserabweisend, aber nicht wasserdicht. Die Struktur erinnert ein wenig an Schlangenleder. Die in Sibirien lebenden Nanai verarbeiten traditionell Lachsleder. Es werden daraus Kleidung, Kleinlederwaren gefertigt. Lachsleder entsteht als Abfallprodukt bei der Lebensmittelherstellung.

Pinatex ist natürlich, vegan ein aus Fasern von Ananasblättern gefertigtes Lederimitat. Es wird u.a. in Barcelona in einer Textilfabrik verarbeitet.

Als Rohhaut bezeichnet man die enthaarte abgezogene und getrocknete Haut des Tiers, die im Gegensatz zu Leder nicht gegerbt wird und daher wesentlich steifer ist. Nach dem Abziehen und entfleischen wird das Fell aufgespannt und getrocknet. Danach lässt man es in einer Lauge aus Holzasche weichen, wodurch sich das Haar löst. Rohhaut ist im Gegensatz zu Pergament meist etwas dicker und lichtundurchlässig.

Effektleder ist meist chromgegerbtes Leder, dessen Oberfläche unter Wärme und Druck mit einer Folie versehen wird. Die aufgebrachten Materialien können die Eigenschaften des Leders beeinflussen, es wird entweder robuster oder empfindlicher, daher schwankt die Langlebigkeit erheblich.
Rauleder ist ein Oberbegriff für alle Lederarten, die durch Anschliff der Narbenseite (Nubuk) oder der Fleischseite (Velours) eine raue, griffige und samtige Haptik erhalten. Die Begriffe Rauleder und Wildleder werden häufig synonym verwendet, obwohl Wildleder nur die gegerbten Felle von Wildtieren wie Hirsch, Reh oder Antilopen beschreibt.

Crustleder, punziertes Leder , auch die Vergoldung von Leder ist genau beschrieben. Ein Freudenbergsches Minnekästchen um 1350 zeigt das Verarbeiten mit Holz, Bronze und Vergoldung. Das Lederkästchen ist ein Schmuckstück, das seinesgleichen sucht. Die plastischen Bilder zeigen Paare, die sich gegenseitig Geschenke überreichen.

Olivenleder entsteht durch einen pflanzlichen Gerbstoff auf der Basis eines wässrigen Olivenblattextraktes. Dieses auf diese Art gegerbte Leder ist besonders hautverträglich und wurde 2006 von der Reutlinger Firma wet-green GmbH entwickelt.

Blankleder auch Kernleder genannt sind pflanzlich gegerbte leicht gefettete Rindsleder mit einer Stärke von mindestens 2,5 mm. Blankleder sind typische Sattlerleder, da sie kräftig und robust sind.

Der Pilzwerkstoff wird von einem lebenden Organismus erzeugt und ist flexibel, wasserabweisend und atmungsaktiv.
Und zuletzt Papier – es diente immer wieder bei Ressourcenknappheit wie zum Beispiel im ersten Weltkrieg dazu als Lederersatzmaterial für Schuhe und Taschen Verwendung zu finden.

Futterale für Vorlegemesser, für Brillen, für alle möglichen Dinge wurden in Schaukästen gezeigt. In der Mitte eines der anderen Säle stand ein Schiff vollkommen aus Leder gefertigt in einem Schaukasten, sodass man es gut von allen Seiten aus betrachten konnte.

Auch liturgische Kleidung war ausgestellt und diese Entwicklung lässt sich teilweise bis in die römische Zeit zurück verfolgen. Aus der römischen Alltagskleidung, besonders der Tunika entwickelten sich die liturgischen Gewänder. Als Materialien standen Wolle, Leinen und Seide im Vordergrund. Die ausgestellte liturgische Kleidung aus Leder stammt aus dem 18. Jahrhundert. Weil allerdings das Material sehr hart ist, hat es sich für diesen Zweck nicht dauerhaft durchgesetzt. Zum priesterlichen Obergewand – Kasel genannt – gehört eine Stola, ein schmaler über beide Schultern herabhängender Teil des Gewandes. Das grosse Pluviale, ein weiter Umhang wurde nur bei bestimmten Feierlichkeiten wie Prozessionen angelegt. Die dazugehörigen Schuhe orientierten sich an der Schuhmode des Jahrhunderts. Auf einen hohen Absatz wurde allerdings verzichtet. Die Mitra wurde aus Brokat gearbeitet.

Eine weitere Abteilung war den Taschen und Koffern gewidmet. Schrankkoffer – grosse und kleine – Koffer die man früher auf die offenen Autos hinter den Sitzen befestigte. Assecoires wie Behältnisse für Rasierzeug, Hygieneartikel, Kulturtaschen aus Leder – alles entsprach dem teuren Modegeschmack der damaligen Zeit.
Auch die Buchdrucker hatten eine Abteilung, die für mich mit dem kleinsten Buch der Welt ihre Krönung fand. Dieses Büchlein enthält das Vaterunser in sieben Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Englisch in der amerikanischen Fassung, Spanisch, Holländisch und Schwedisch.
Die Grösse der Schriftfläche auf jeder Seite beträgt 3,5 x 3,5 mm. Jede Seite des Buches wurde in einer Schriftgiesserei in Metall geschnitten, nicht fotografisch verkleinert. Das Buch ist von Hand in Leder gebunden und mit einer Goldprägung verziert.

Als ausgesprochene Leseratte hat mich dieses Buch sehr fasziniert.
Teil 1 Besuch des Ledermuseums in Offenbach am 27.1.2019
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