18 Liter Bier

 

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Johanna
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18 Liter Bier

Beitrag von Johanna »

Die neue Hütte……

Schmalkalden, ein ganz besonderer Ort der 874 erstmals urkundlich erwähnt wird. Dieser Ort war Jahrhunderte lang weit über seine Grenzen hinaus als Stadt der Schmiede bekannt. Zum einen waren die reichen Eisenerzlagerstätten, der grosse Waldbestand und zahlreiche Gebirgsbäche dafür verantwortlich zum anderen die günstige Lage im Netz der Handelsstrassen. Anfangs stand der Waldschmied der das Eisenerz selbständig abbaute im Rennfeuer mit Holzkohle verhüttete und das gewonnene Eisen auf dem Amboss zu Werkzeugen verarbeitete.
In der neuen Hütte in Schmalkalden kann man dies alles im Museumsbereich anschauen. Hier werden nicht nur Gesteinsproben gezeigt, sondern auch die Entwicklung in diesem Bereich sehr genau dargestellt.

Der Museumsbereich umfasst grosse wie Scheunen wirkende Gebäude, die in einzelne Zeiten und Entwicklungsstufen aufgeteilt sind. Im Hauptgebäude kann man dann den Holzkohlehochofen sehen und erhält gleichzeitig die Erklärung wie die Gicht gehandhabt wurde. Die Gicht – das Einfüllen der einzelnen Schichten bis zum ablaufen des Roheisens.
Dieser Hochofen ist ca 9,60 m hoch und erzeugte bei durchlaufendem Schmelzvorgang innerhalb von 24 Stunden etwa vier bis fünf Tonnen Roheisen. Die Ausbeute lag zu der damaligen Zeit bei ca. 30 bis 40%. Ein Drittel des Roheisens wurde für das heimische Handwerk aufbereitet, zwei Drittel wurden exportiert.

1884 lag der Tageslohn eines Hüttenarbeiters bei durchschnittlich 1,50 Mark bis 2,00 Mark je nach Tätigkeit. Frauen verdienten weniger, genauso wie Hilfsarbeiter und Lehrlinge.
Die Fleischpreise zur damaligen Zeit lagen von 35 Pfennig bis 65 Pfennig für ein Pfund je nach Sorte. Wobei Ochsenfleisch am teuersten und Kalbfleisch am billigsten war. Die Arbeitszeit lag bei 12 Stunden und erst ab 1918 bei 8 Stunden täglich. Nicht nur diese Informationen waren auf Tafeln angeschlagen auch die Menge und Zusammensetzung des erschmolzenen Roheisens und der eingesetzten Stoffe.

Der Hochofen wurde nur mit Holzkohle bis oben befüllt und ständig nachgefüllt und erst nach ca. 4 Tagen war die Schmelztemperatur von ca. 1400-1500 Grad Celsius erreicht. Erst dann wurden immer wieder kleine Schichten mit Erzen, Zuschlägen und Holzkohle aufgefüllt. Für die Frischluftversorgung des Ofens wurde ein Wasserrad bewegt. Ein Modell eines Schlackenpochwerks konnte man bewegen – die Originalgrösse war ca. 5 Meter hoch und stand im Bereich der heutigen Nagelschmiede.

Der Westschuppen – das ehemalige Holzkohlelager beinhaltete die Ausstellung zur Geschichte der Eisen- und Stahlwarenproduktion 1866 bis 1914 und zur industriellen Holzbohrerproduktion.
Der aus der Werkstatt von Meister Recknagel in Unterschönau stammende Zainhammer konnte bis zu 90 Schläge pro Minute ausführen. Die Schlaggeschwindigkeit war mittels einer Zugvorrichtung am Wasserrad regulierbar. Auf ihm wurden glühende Eisenstäbe zu „Zainen“ bis 3 Meter lange schmale Stangen, ausgeschmiedet, die vor allem die Nagel- und Ahlenschmiede benötigten. Diese Eisenstäbe bezog die Werkstatt zuvor von Stahlschmieden, welche bei 40° Raumtemperatur in Tag- und Nachtschicht arbeiteten. Bis zu einem Zentner schwere Roheisenbrocken wurden am Frischfeuer aufbereitet und glühend unter dem Stahlhammer zu groben Stangenmaterial ausgeschmiedet. Um 1850 wurde vom Stahlhammer am Gespring berichtet, dass der Schmied Wolf bis zu 18 Liter Bier getrunken haben soll, wenn er während der Arbeit ins Schwitzen geriet.

In Vitrinen waren u.a. Frisiereisenschenkel, Frisierlampe oder auch Zuckerzange und Zuckerkasten aus Schmalkalder Produktion ausgestellt. Rosenschere, Gemüseschäler und Nussbrecher sowie Rettichschneider um 1880 unterscheiden sich kaum von den heutigen Geräten. Das Essbesteck „ideal“ von 1905 war an den Griffen aufwendig verziert – die Schlittschuhe aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts waren einfache Kufen auf die ein schmales Holzbrett montiert war.
Man sah grössere Maschinen, Fräsmaschinen, Kalt- und Warm-walzmaschinen Schleifbock usw.

Ein kleiner Gemischtwarenladen wurde von mir mit Entzücken begutachtet. Dieser Laden wurde 1900 von einem Herrn Bach als Gemischtwarenhandlung an der heutigen Tambacher Straße eröffnet. Darin bot er viele in der Region hergestellte Werkzeuge, Kleineisen und Haushaltswaren an. 1919 übernahm eine ehemalige Angestellte den Laden und führte ihn weiter bis ihr Sohn dieses Geschäft 1955 übernehmen konnte. Er liess eine neue Einrichtung entwerfen. Während der DDR-Zeit wurde der Laden unter staatliche Kontrolle gestellt und als Kommissionshandelsgeschäft der Konsumgenossenschaft weitergeführt. Hier gab es wirklich alles. Grosse Schränke mit vielen kleinen Schubfächern, sauber beschriftet, in den Regalen Gläser, Geschirr, alle möglichen Besteckarten, Siebe, Suppenkellen, Korkenzieher, Tau8chsieder und ein altes Radio (Volksempfänger) dazu auch Spielzeug für Kinder oder Einweckgummis in verschiedenen Grössen. Werkzeuge, Nägel und Schrauben in allen erdenklichen Grössen und Formen – Emaillwassereimer und viele Dinge mehr vervollständigten das Angebot. Nur die runden gläsernen Bonbongläser habe ich hier vermisst, die ich als Kind noch in diesen Läden kannte.

Bei der nächsten Abteilung Jahrgang 1914 bis 1945 sah man schon die Unterschiede – die Werkzeuge wurden vielfältiger, feiner, das Besteck z.B. nicht mehr so aufwendig verziert an den Griffen, mehrere Sorten Korkenzieher, Scheren die man zum kürzen des Dochtes haben musste.
Werkzeuge und Haushaltswaren aus der Region Schmalkalden wurden für jeden Haushalt produziert.

1945 bis 1990 zeigte sich der technische Fortschritt – Maschinen, Werkzeuge, hergestellte Artikel wurden immer ausgefeilter, die Bergbauwerkzeuge dieser Jahre wurden in vielen Schaukästen ausgestellt. Die Umgestaltung der Produktionsbetriebe in volkseigene sozialistische Unternehmen vollzog sich in mehreren Etappen. 1969 wurde das VEB Werkzeugkombinat Schmalkalden gegründet. Ausserdem gab es das VEB Kombinat Haushaltswaren in Steinbach und für Sportgeräte war wiederum Schmalkalden zuständig.

Ab 1990 waren dann auch die einzelnen Schritte der Bearbeitung eines Werkstückes gezeigt. Schritt für Schritt vom ersten Stück bis zur fertigen Zange wurden 14 Fertigungsschritte an Beispielen ausgestellt.
Die flotte Lotte war ebenso wie ein Nagelnecessaire oder wiederum eine neue Eßbesteckform und eine Greifzange für Spaghetti ausgestellt.
Am 30. Juni 1990 wurde das VEB Werkzeugkombinat aufgelöst und es entstanden zahlreiche selbständige Nachfolgeunternehmen. Der Vorteil waren der hervorragende Facharbeiterstamm, die Fachhochschule Schmalkalden als hochspezialisierte Bildungseinrichtung, das Forschungszentrum der Werkzeugindustrie (1978 gegründet). Dies alles führte die Region Schmalkalden wieder zu internationaler Bedeutung als wichtigen Standort deutscher Werkzeugindustrie.
Im letzten Abschnitt wurden dann Werkzeuge mit Verschleißschutz-Beschichtung gezeigt sowie die Fertigung mit CNC-Maschinen und Konstruktion mit CAD.
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