der Besenstiel

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
Antworten
Benutzeravatar
Johanna
Beiträge: 4372
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
Wohnort: Nordhessen

der Besenstiel

Beitrag von Johanna »

Der „Besenstiel“

Gleich im ersten Raum den wir betraten waren sehr viele Flugapparate von den ersten Modellen bis zu grösseren moderneren Flugzeugen zu sehen. Manche auf dem Boden aufgebaut, andere hingen von der Decke herab und an den Wänden waren Beschreibungen und Bilder der Objekte, der Piloten – über die Anfänge der Fliegerei.

Natürlich – wie könnte es anders sein, fing alles mit einem Mann an. Der erste Deutsche der den Gleitflug systematisch untersuchte und in seinem Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst“ beschrieben hat, war O. Lilienthal.
Er befasste sich insbesondere mit den Flügeln der Störche und fand nach vielen Versuchen physikalische Zusammenhänge zwischen dem Anstellwinkel der Flügel,seinem Auftrieb und seinen Widerstand.

Ein entscheidender Impuls für den Flugsport mit Gleitflugzeugen ging 1909 von der Internationalen Luftfahrt Ausstellung in Frankfurt aus. Der Frankfurter Flugtechnische Verein führte dort Gleitflüge vor, die insbesondere bei den jungen Schülern aus Darmstadt Interesse fanden. Mit Begeisterung bauten sie mehrere Gleitflugzeuge und organisierten 1910 eine eigene Flugsportausstellung.
In den Jahren 1911 bis 1913 waren sie mit ihren Gleitflugzeugen auf der Wasserkuppe in der Rhön.

Der normale Segelapparat von O. Lilienthal wurde nach einer Originalzeichnung von 1895 nachgebaut – die Flügel waren riesig.

An der Wand hingen die Ergebnisse von Rhönsegelflugwettbewerben mit den Siegern, Zweit- und Drittplatzierten von 1920 bis 1929. Nicht nur die Namen der Piloten waren aufgeführt, sondern auch die Namen der Flugzeuge wie z.B. „blaue Maus“, „Geheimrat“ und „Strolch“ oder „Margarete“ und „Wien“.

Was wäre aus dem „Weltsegelflug“ geworden, hätte nicht die Akaflieg Hannover 1921 den „Vampyr“ zur Rhön gebracht? Er wurde Stammvater aller modernen Segelflugzeuge bei einer Rumpflänge von 5,54 m und einer Spannweite von 12,6 m.

In einem Schaukasten waren kleine Mustgerflugzeuge ausgestellt neben den Angaben wo und wie man damals Segelfliegen lernte. Die Lehrstützpunkte gingen von der Weltenseglerschule auf der Wasserkuppe bis zur Segelflugschule im Ostseebad Leba, Rossitten am kurischen Haff und und Grunau im Riesengtebirge.

Nur extrem leichte und langsame Flugzeuge lassen sich vom Piloten selbst in die Luft bringen. Man nennt das Lauf oder Haxenstart. Motorlose Flugzeuge können ohne fremde Hilfe nicht starten. Man liess Segelflugzeuge mit einem Hanfseil oder Gummiseil starten. Dabei wurde das Rumpfende des Segelflugzeuges von einer Haltemannschaft festgehalten, während zwei Gruppen von Starthelfern
auf das Kommando „Ausziehen, Laufen“ das am Starthaken eingehängte Gummiseil dehnten, und die Haltemannschaft auf das Kommando „Los“ das Segelflugzeug frei gab.

Dieser Gummistart war über zwei Jahrzehnte die Standardmethode für den Start. In den Vereinigten Staaten war dagegen der Autoschleppstart üblich. Aus diesem Autoschlepp entwickelte sich der Schlepp mit einer Seilwinde. Der Windenschlepp ist heute noch die gebräuchlichste Startart, allerdings ist der Flugzeugschlepp heute die ideale Startmethode bei Wettbewerben.
Doch wie immer: andere Möglichkeiten wurden auch ausprobiert – mittels Motorrad, oder mittels eines Pferdes, mit Raketen und Hubschraubern – sogar vom Zeppelin Luftschiff aus wurde gestartet.

Segelflugzeuge können ihre Starthöhe nur halten wenn sie in aufsteigenden Luftmassen fliegen. Eine andere Aufwindform sind thermische Aufwinde, die durch Soneneinstrahlung hervorgerufen werden.In Grunau im Riesengebirge wurde diese Aufwindform entdeckt und zu Höhenflügen genutzt. So sind Höhen bis zu 14000 Metern in Segelflugzeugen erflogen worden.

Erst 1931 wurden diese Leistungen gewürdigt und es wurden gestaffelte Prüfungen eingeführt. Die C-Prüfung verlangt z.B. einen Thermikflug von mindestens 30 Minuten für die Gold-C-Prüfung ist ein Höhengewinn von 3000 m und eine Strecke von 300 km zu erfliegen.

Für die Rhön wurde der Erbauer und Flieger des „Besenstiel F.S.3“wegen mangelnder Festigkeit nicht zugelassen. F. Schulz flog knapp zwei Jahre später mit diesem Besenstiel einen Dauerweltrekord von knapp 9 Stunden. Das ausgestellte Modell wurde originalgetreu 1975 nachgebaut. Es zeigt wirklich einen Besenstiel auf einem sehr schmalen Brett – auf diesem Brett ist ausserdem mit Leisten ein Sitz für den Piloten – ähnlich dem Sitz eines Küchenhockers – angebracht. Die Rumpflänge ist nur kanpp 5 m bei einer Spannweite von 12,5 m.

Andere Kuriositäten waren eine RRG Raketen Ente, die mit zwei Raketen angetrieben wurde. Sie legte daraufhin 1400 m in einer Minute zurück. Dies waren die ersten Raketenflüge der Menschheit.
Schulflugzeuge, Flugzeuge die Namen von Vögeln trugen wie Bussard, Sperber oder Kranich. Lommatzsch LOM 61 „Favorit“ war das letzte in der DDR gefertigte Segelflugzeug. Es war aus Sperrholz in Waben-Sandwichbauweise hergestellt. Es wurden nur insgesamt 5 Exemplare davon gebaut und die DM-2704 wurde in Taucha restauriert.

Eine Abteilung befasste sich nur mit Modellflugzeugen.

Ganz kurz noch von Peter Riedel, der als 14-jähriger mit einem selbstgebauten Segelflieger zur Wasserkuppe kam, nicht fliegen konnte und man ihm die Festigkeit seines Flugzeugs nicht zutraute. 52 Jahre später bewies Riedel dass sein Modell von 1920 sicher war und sein Flugzeug wurde dem Flughafen Frankfurt übergeben, die das Modell in der Halle B aufstellte. Doch eine in einer Segeltuchtasche abgestellte Bombe zerstörte nicht nur sein Flugzeug, 3 Personen starben und 42 Menschen wurden verletzt. Die Täter wurden nie gefasst.
2017 wurde das Flugzeug des Peter Riedel vom Werkstattteam des Segelflugmuseums wieder in den Zustand von 1974 für die Ausstellung restauriert.

Wir stellten nach unserem Besuch fest, dass wir uns am längsten von allen Besuchern des Museums in den Räumen aufgehalten hatten. Durch den Audioguide konnten wir viele der Flugapparate/Flugzeuge genauestens begutachten, die Geschichten die hinter den Flugmaschinen standen auch anhören. Die Entwicklung folgte nach zaghaften Anfängen sehr rasant und ich stellte fest, auf einem „Besenstiel“ wäre ich bestimmt nicht gerne geflogen – dann eher schon auf einem „Nimbus 2000“
Antworten

Zurück zu „ReiseBerichte“