Nachbarschaftshilfe

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Nachbarschaftshilfe

Beitrag von Johanna »

Nachbarschaftshilfe

Bei schönem Wetter zu Hause zu sitzen ist nicht unsere Sache – also machten wir uns auf den Weg in eine der Nachbargemeinden. Wir fuhren nach Wanfried.

Wanfried ist eine Stadt mit Geschichte.

Vor 1.200 Jahren wurde Wanfried als „In wanen In Riden“ in einer Schenkungsurkunde an das Bistum Würzburg zum ersten Male erwähnt. Wahrscheinlich war die Ansiedlung damals nur ein kleines Fischerdorf, das jedoch schon längere Zeit bestanden hatte, denn vorgeschichtliche Funde weisen eindeutig darauf hin, dass das Werratal bei Wanfried bereits vor 3.000 Jahren stein- und bronzezeitlicher Siedlungsraum war.

1015 erhielt die Abtei Hersfeld ein Königsgut in Wanifredum von Kaiser Heinrich II.

1306 kaufte Landgraf Heinrich I. Wanfried für Hessen an. In der Folgezeit war Wanfried immer wieder Streitpunkt zwischen Hessen und Thüringen. 1431 kam es endgültig zu Hessen.
Das „Königsgut“ wurde zu einer stark befestigten Talburg ausgebaut, die dem Schutz der Handelsstraße nach Mühlhausen-Leipzig bzw. Eisenach und der südlichen Region diente.

Der hessische Landgraf Philipp der Großmütige baute die Talburg zu einer Wasserburg um. Danach konnte sich Wanfried der Gunst seiner Lage erfreuen. Als Endhafen der Weser-Werra-Schifffahrt wurde es zum Mittelpunkt des Handels zwischen Thüringen, den sächsischen Herzogtümern, Bayern und Bremen. Wanfried hatte als Warenumschlagplatz eine hervorragende Bedeutung und galt als wirtschaftlicher Vorposten der Reichsstadt Mühlhausen. Der Flusshandel brachte Reichtum und Wohlstand in den Ort.

Erst im Jahre 1608 erhob Landgraf Moritz Wanfried zur Stadt und verlieh ihr Marktgerechtigkeit. Handel und Handwerk erlebten danach einen enormen Aufschwung. Überregionale Bedeutung erlangte vor allem das Töpferhandwerk. Im 17. und 18. Jahrhundert unterhielt die Stadt weit reichende Handelsverbindungen nach Süd- und Ostdeutschland, ja bis nach Polen und Russland.

Während des 30-jährigen Krieges wurde das Schloss fast vollständig zerstört, wurde dann aber 1645 wieder zu Verteidigungszwecken neu aufgebaut.
1806 verlor auch Hessen seine Selbstständigkeit und wurde Teil des neugegründeten Königreiches Westfalen.
Die Werra-Schifffahrt kam durch die Kontinentalsperre völlig zum Erliegen. Als Ersatz für den Ausfall des Schiffereigewerbes entstand danach eine aufblühende Industrie.Es wurden eine Zigarrenfabrik, eine Wollkämmerei und eine Steindruckerei gegründet. Außerdem gab es eine Ziegel- und Kalkbrennerei, eine Tuchfabrik, eine Lohgerberei, eine Brennerei und eine Wollspinnerei.
1878 erwarb Rittmeister und Kammerherr Karl von Scharfenberg das Schloß. In den Räumen befand sich bis 1928 das Preussische Amtsgericht und nur die Gebäude des Unterhofes wurden für den landwirtschaftlichen Betrieb genutzt.
Von 1946 bis Mitte der 70-er Jahre wurde von der Familie von Scharfenberg in einem Flügel des Schlosses eine Konservenfabrik betrieben, der andere Teil diente als Wohnhaus für den Verwalter des Rittergutes.
Gernot v. Hagen, ein Schwiegersohn der von Scharfenberg richtete 1982 in den Räumen der Konservenfabrik eine Textildurckerei ein.

Das Stadtbrauhaus ist eng mit Philipp dem Großmütigen verbunden denn er erliess eine Reformationsordnung in der es hiess: Auf den Dörfern in unseren Fürstentümern, Landen und Gebieten sollen ganz und gar keine Bierbrauer noch Handwerker sitzen und ihr Bier brauen und Handwerk betreiben, bei Verlust der zum Betrieb der Bierbrauerei bzw. des Handwerks gebrauchten Gerätschaften und Werkzeuge, sowie bei Zahlung einer Strafe von zehn Pfund Geldes“

Damit war es allein den Städten des Fürstentums vorbehalten, Bier zu brauen.

Am 3. Februar 1553 wurde für Wanfried eine Ausnahme gemacht „Die Brauer sollen ein gesundes wohl ausgekochtes Bier verfertigen, dessen auch eine hinlängliche Menge brauen. Die Polizei hat darauf zu sehen, dass untadelhaftes gutes Mals und kräftiger Hopfen zum brauen gegeben werde.“

In den folgenden Jahrhunderten wurden die Anlagen immer weiter verfeinert und die Geheimnisse der Braukunst von Generation zu Generation weiter gegeben. 1620 hatte Wanfried das erste städtische Brauhaus. Schlecht gebrautes Bier wurde regelmässig als flüssige Nahrung an das Vieh verfüttert.
1718 brannte das städtische Brauhaus nieder und wurde noch im selben Jahr wieder aufgebaut, in dem es die folgenden 200 Jahre in der überlieferten Weise gebraut wurde.
Erst als 1840 eine moderne Dampfbrauerei gebaut wurde, wurden die Räumlichkeiten der städtischen Brauerei zu Wohnungen umgebaut.

Wir sassen eine lange Zeit am Wanfrieder Wehr der Werra, beobachteten hier Schwäne, Reiher die sich am Wehr ihre Mahlzeit holten und genossen die Frühlingssonne.

Auf der Rückfahrt schauten wir uns noch die Neueröder Kirche an. Klein, schmucklos – hell. Die Empore ohne jegliche Bilder oder Sprüche – die Kanzel direkt hinter dem Altar. Und an der Rückwand sahen wir einen Feuerlöscher. Ob man hier aus Erfahrung lernte?

Wir verliessen die Kirche und sahen auf der Strasse eine „Coronamässige Nachbarschaftshilfe“
Hier stand auf der Strasse – direkt seitlich vor einer Garageneinfahrt eine Toilettenschüssel (Keramik), daneben stand in einem Behälter eine Toilettenbürste und auch eine Rolle Klopapier lag neben dem Klo. Wurde eine Rolle Toilettenpapier nicht wie ein Goldschatz in der letzten Zeit gehandelt?

Uwe fragte bei den Männern die in der Garage an einem grösseren Bauwagen arbeiteten nach und erfuhr, dass diese einen Toilettenwagen für diverse Großveranstaltungen umbauen und diesen Wagen dann vermieten wollen. Alles Inventar wurde erst einmal entsorgt – damit man von Grund auf „renovieren“ könne. Also: sollte man den Weg nachts nach Hause nicht ganz schaffen, dann bietet sich hier eine Möglichkeit zur Erleichterung an ….ggg
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