Zunftstangen

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Zunftstangen

Beitrag von Johanna »

Zunftstangen

Nach dem Besuch des Frau Holle Teiches fuhren wir weiter Richtung Heiligenstadt und kamen dabei durch eine Ortschaft, die uns begeisterte.
Die Strassen sauber gepflastert – aber nicht mit Katzenköpfen! Die Bürgersteige abgesetzt in Brauntönen – auch gepflastert und alles picco bello. Kein Papier, nichts lag auf den Strassen an Dreck herum! Vorbildlich sauber. Kein Wunder dass diese Ortschaft bereits dreimal ausgezeichnet wurde – ein Vorzeigedorf wie man es selten nicht nur in der Umgebung findet!
Die erste urkundliche Erwähnung war im Jahre 1338 – hier war noch der Name „Hadewartherode“ genannt – und es gab Schwierigkeiten mit der Adelsfamilie von Hanstein. Es drehte sich hierbei um Zins- Lehngerechtigkeiten sowie Gerichtsbarkeit und den Blutbann.
Ein Blutbann war im heiligen Römischen Reich die peinliche Gerichtsbarkeit über Taten die mit Körperstrafen wie Verstümmelungen oder dem Tod bestraft werden konnten.

Infolge dieser Fehde wurde das Dorf von den Truppen der Reichsstadt Mühlhausen 1424 verbrannt und gänzlich zerstört. Weil dieser Ort aufgrund dessen eine Zeit lang wüst gelegen hatte bekam es den Beinamen „Wüstheuterode“, der spätestens seit 1806 auch offizieller Ortsname ist. Später wurde der Ort preussisch und kam zum Königreich Westphalen. Anschliessend kam es zur Provinz Sachsen und 1945 zur sowjetischen Besatzungszone und war ab 1949 Teil der DDR. Von 1961 bis zur Wende und Wiedervereinigung wurde das Leben der Wüstheuteröder durch die innerdeutsche Grenze beeinträchtigt. Seit 1990 gehört der Ort zu dem wieder gegründeten Bundesland Thüringen. Das Leben in der Gemeinde wird durch Vereine vielfältig gestaltet. All das kann man auf einer grossen Schautafel lesen. Auch dass es hier rund 40 km lange Wanderwege gibt. Die Kirche ist klein, sehr schmucklos – die Decke hat mich begeistert! Keine Malerei sondern durchzogen mit geographischen Linien.

In Heiligenstadt war unser erster Weg in die Innenstadt – u.a. in die Kirche St. Ägidien. Hier gibt es eine Besonderheit, die ich noch in keiner Kirche sah: Zunftstangen!
Die Zünfte des Mittelalters waren fachliche Vereinigungen der Handwerker im öffentlichen Bereich. Sie entstanden im 12. Jahrhundert. Die Zünfte hatten strenge, geschriebene Satzungen , bestimmten die Zahl der Meister, die Lehrlingsausbildung gaben Preis- und Qualitätsvorschriften vor. Und sie waren zum Teil auch militärisch organisiert. Die Industrialisierung zum Beginn des 16. Jahrhunderts führte zum Zerfall der Zünfte.
Diese Stangen waren an der Wand in der Kirche aufgereiht – schwere, lange Stangen mit Figuren am oberen Ende die jeweils die zuständigen Patrone für die Berufe zeigten. Darunter waren die Medaillen mit den Attributen. Diese Stangen wurden bei Beerdigungen von Mitgliedern, bei kirchlichen Höhepunkten und Prozessionen von den ältesten Lehrlingen voran getragen.

Der hlg. Jakob war der Patron der Büchsenmacher, Bauer und Sattler – sein Attribut waren Waffen. Der hlg Judas war den Knochenhauern/Metzgern zugeordnet und das Attribut war die Keule und das Beil.
Der heilige Justin sowie der hlg. Aureus waren Patrone der Schneider, hier war das Attribut selbstversändlich die Schere!
Der Passionsengel war zuständig für Steinmetze wobei das Attribut wiederum Stuckateur- und Steinmetzwerkzeuge waren.
Der hlg. Josef war Zimmermann und auch die Hlg. Maria war den Schreinern und Tischlern zugeordnet. Winkelmaß, Hobel und Zirkel waren hier die Attribute.
Auch die Schuhmacher hatten wieder zwei hlg. Zur Verfügung : einmal Crispin und dann Crispinian mit Stiefel und Schuh.
Und zum Schluss kamen dann noch die Schmiede und Schlosser die vertreten wurden durch den Hlg. Eligius mit Hufeisen und Schlüssel.
Unter den Darstellungen der beiden Stadtpatrone, Bischof Aureus und seinem Diakon Justinus befinden sich Reliquienbehälter . Die Attribute dieser beiden Heiligen sind auf der Rückseite angebracht.
Bis zur Renovierung der Kirche standen diese Zunftstangen an den Pfeilern im Mittelschiff der Kirche war auf einer Tafel zu lesen.
Vor diesen Zunftstangen eine sehr stabile Holzbank mit der Inschrift: Papstbesuch 2011

Auf einer metallischen Tafel war nicht nur in lateinischen Buchstaben sondern auch in Blindenschrift zu lesen dass Aureus Bischof von Mainz und sein Diakon Justinus beim Ansturm der Hunnen 451 starben. Die Stadt verdankt aufgrund der Reliquien seit über 1000 Jahren den Namen Heiligenstadt.

Die zweite Kirche die wir besuchten war St. Martin. Der Rundgang durch die Kirche wird durch eine ausliegende Beschreibung unterstützt. Man weiss gleich wo eine Krypta ist, erfährt dass die Tür aus Flößerholz und 800 Jahre alt ist. Man liest, dass der Taufkessel aus Bronze und auch bereits über 500 Jahre alt ist. Rechts im Chor steht ein Grabmal für Adolf von Nassau, Erzbischof zu Mainz der 1390 in Heiligenstadt bei einer Besuchsreise verstarb. Das Grabmal ist mit dem Wappen von Nassau und dem Mainzer Wappen verziert. An der Südwand der Kirche befinden sich mittelalterliche Spottbilder wie eine weinpanschende Nonne, ein Esel der die Orgel spielt. Eine lesende Nonne soll zur Andacht rufen, wenn man die Kirche betritt.
Die Kapitelle sind reich verziert mit Tiersymbolen und figürlichen Szenen, man kann z.B. auf einer der Säulen den Propheten Daniel sehen wie er in der Löwengrube zwischen zwei mächtigen Löwen sitzt. An der westlichen Säule finden sich Darstellungen von Dämonen und giftigen Pflanzen die das Leben bedrohen.
Ein wirkungsvolles Bild – auf Leinwand gemalt ist in einer Nische aufgehängt. Es ist nicht farbig aber gerade durch diese Ton-in Ton Schattierungen wirkt es edel!

Auf Zeittafeln wird die Geschichte der Stadt detailgenau aufgelistet. Sie beginnt zwischen 825 und 847, zeigt auf dass die Ersterwähnung des Eichsfeldes als Gau auf 897 datiert ist. Und man erfährt auch die Zeitpunkte der Besuche des Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) in Heiligenstadt.1153/1169.
Ebenso erfährt man Einzelheiten über archäologische Untersuchungen in der Kirche St. Martin.

An einer Säule steht eine Figur – Kleidung sowie alle Einzelheiten wie Trinkgefäss an einer Schnur, Halskrause, Hemdausschnitt usw. sind mit weissem Pappmaschee hervorragend geformt. Gesicht, Füße und Hände sind in hellbraun gehalten und nur der Wanderstab ist aus Holz.

Nach dem Verlassen der Kirche kamen wir an einem kleinen Garten vorbei. Hier war ein Hinweisschild angebracht welches uns dazu verleitet, noch einmal einen Besuch in dieser Stadt zu absolvieren.
„Eingang zum Rosengarten und Literaturmuseum „Theodor Storm“ Öffnungszeiten des Museums von Di bis Fr, 10:00 bis 17:00 Uhr Sa und So 14:30 bis 16:30 Uhr.
Sobald uns Corona aus den Klauen entlässt werden wir mit Sicherheit die Räumlichkeiten besuchen,denn dass Theodor Storm hier 8 Jahre lebte war mir unbekannt - sein wohl bekanntestes Werk schuf er kurz vor seinem Tod:“Der Schimmelreiter“
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