Unter allen Wipfeln ist Ruh'

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Unter allen Wipfeln ist Ruh'

Beitrag von Johanna »

Unter allen Wipfeln ist Ruh‘

bei Goethe heisst es:
Über allen Gipfeln ist Ruh'
In allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen
Vöglein schweigen
schweigen im Walde
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Wir waren – trotz Corona – wieder unterwegs – fuhren durch die Landschaft, genossen die Natur. Die Felder, gelb – strahlend gelb - hoben sich farblich vom saftigen Grün der Wiesen und Wälder ab. Zwischen dem Grün der Bäume sah man immer noch vertrocknete und abgestorbene braune Bäume – Holzstapel von Baumstämmen waren auf Waldwegen sichtbar. Riesige Baumstapel, die nur auf den Abtransport warteten. Viel zu viele und trotzdem immer noch nicht genug gefällte kranke und abgestorbene Baumstämme.
Auf dem Weg durch Thüringen und Nordhessen sahen wir ein Hinweisschild – es war eher ein Wort, eingeritzt in ein Holzstück, welches auf eine Wegrichtung wies: „Waldesruh“. Die Schrift war kaum zu erkennen. Wir folgten der Ausschilderung die man teilweise fast übersehen konnte.

Der Weg wurde zu einem Waldweg, und am Waldesrand – verborgen durch Gebüsch ein kleiner geschotterter Parkplatz. Gegenüber diesem Parkplatz eine Tafel mit Hinweisschildern und ausliegenden Prospekten:
Im Nordhessischen Herleshausen befindet sich der RuheForst Werraland. Seinen Namen erhielt er aufgrund der Werra, die als naturverbundenes Element die beiden Landesregionen Hessen und Thüringen verbindet. Die Erholung in der Stille der Täler, atemberaubende Ausblicke über die hessisch-thüringische Waldregion, Naturleben mit allen Sinnen und vielen Natursportmöglichkeiten wird hier greifbar. An diesem Ort befindet sich die letzte Ruhestätte in einem über 140-jährigen Laub-Mischwald mit Buchen, Ahorn sowie Eschen als auch einzelnen Eiben, die dem Gebiet ihren Namen schon vor Generationen gaben.

Zwischen zahlreichen sogenannten RuheBiotoipen, die durch einen Baum oder ein anderes Naturmerkmal gekennzeichnete Flächen - kann eine letzte Ruhestätte ausgewählt werden. Hier finden einzelne Personen, Familien oder andere sich im Leben nahestehende Menschen einen naturnahen Beisetzungsort.

Mir war der Begriff Ruheforst unbekannt – ich kannte die Bezeichnung „Friedwald“, da eine Internetbekannte sich bereits vor längerer Zeit zu Lebzeiten dafür aussprach.

Hier wird die biologisch abbaubare Urne mit der Asche der Verstorbenen beigesetzt. Man kann auf eine Trauerzeremonie verzichten, aber für individuell gestaltete Abschiedszeremonien ist ein kleiner Platz für diese Zeremonie vorhanden. In der Mitte dieses Rondells ist ein grosses Kreuz aufgestellt, ringsherum Bänke aus Naturholz.

Diese Form der Bänke wiederholt sich auch im umliegenden Wald.

Bäume sind mit farblichen Bändern gekennzeichnet. Blau, orange oder auch kein farbiges Band zieren die einzelnen Bäume, so dass man gleich erkennen kann, ob dies ein Urnengrab an den Wurzeln des Baumes von einer Einzelperson oder einer Familie ist.

Am Eingang jedes RuheForstes gibt es Karten, in denen alle RuheBiotope mit Ihren Nummern eingezeichnet sind. Voraussetzung für die Nutzung dieser Funktionen, oder Neudeutsch „Features“, ist die Kenntnis der Baumnummer des gesuchten Baumes.

Ausserdem sieht man an diversen Bäumen und Stellen Blumensträusse, die hier zum Gedenken und als Gruß niedergelegt wurden. Wenn man das möchte kann man für den Verstorbenen auch eine kleine Gedenktafel am Baum anbringen lassen. Die „Miete“ kann bis zu 99 Jahren dauern und für sämtliche Familienmitglieder – bis zu 12 Personen pro Baum – ausgeweitet werden.

Es gibt Führungen bei denen man die Möglichkeit hat sich über diese Form der Bestattung zu informieren. Ich weiss, dass nicht viele Menschen an das eigene Ende denken, aber ich finde Vorsorge ist hier nicht überflüssig!

Dieser Teil des Waldes benötigt kaum Pflege, die Wege führen deutlich sichtbar durch das Waldgrundstück – es wird auf Kahlschlag und Einsetzen von Chemie weitgehendst verzichtet. Die Förderung der Artenvielfalt ist oberstes Gebot. Horst- und Nistbäume werden erhalten.

Am gegenüberliegenden Waldstück sah man, dass hier die Pflegemassnahmen etwas ins Hintertreffen geraten waren. Hier war das Unterholz sehr hoch gewachsen, obwohl man auch hier bei einzelnen Bäumen eine Markierung durch die farbigen Bänder sehen konnte.

Mich begeisterte die Ruhe, das Jubilieren der Vögel, die sonnendurchschienenen Grasflächen zwischen den Bäumen und die Bänke, die in ausreichender Anzahl in gewissen Abständen immer wieder zum Ausruhen einluden. Wir durchstreiften diesen Wald – bis Uwe dann den Rollstuhl holte und mich über den Hauptweg zurück zum Auto transportierte.

Und wenn ich mir die Preise ansehe dann steht für mich fest, dass es nichts preiswerteres und schöneres gibt als unter Bäumen die letzte Ruhestätte zu finden.
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