Unesco Welterbe

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Unesco Welterbe

Beitrag von Johanna »

Vergangenheit und Gegenwart des lebenden Denkmals

Zurück zu den Ursprüngen
Gestern besuchten wir in Altefeld Fagus…..es bedeutet eigentlich „Buche“ und genau aus diesem Material sind die Dinge, die hier hergestellt werden.
Ein grosses Werk – viel grösser als wir das vermuteten. Der Empfang (wir waren unangemeldet) war sehr freundlich und zuvorkommend – Aufklärung über Eintrittspreise. Was bei uns ja nicht so ohne weiteres klar ist. Uwe hat GdB 60 und ich bin ohne Bescheinigung Rollstuhlfahrer……
Dann der Lageplan und die Erläuterungen der Ausstellung.

Als erstes Tausch des Rollstuhls, der in diesem Gebäude zu verwendende hat doppelt so breite Räder – aus gutem Grund. Die Böden sind aus groben Brettern in denen in den Lücken dazwischen schmale Rollstuhlräder leicht hängen bleiben können.
Das Gebäude hat 6 Stockwerke. Im Erdgeschoss gleich am Eingang eine Maschine die zwei Schuhleisten auf einmal maschinell herstellen kann.
Hier sind auch auf einigen grossen Plakaten der Werdegang der Fabrik und des Gründers sehr genau aufgelistet.
Carl Benscheid, ältester von 12 Kindern macht nach dem Besuch des Technikums eine Ausbildung bei einem Naturheilarzt und wird hier mit den Mängeln des zeitgenössischen Schuhwerks und der daraus resultierenden Fußleiden aufmerksam.
Diese Probleme hatten ihre Ursache in der Zweiballigkeit des verwendeten Schuhleistens, d. h., es wurden symmetrische Schuhe gefertigt, die für den rechten Fuß wie für den linken über den gleichen Leisten gearbeitet waren.
Die Schuhe wurden damals wechselseitig angezogen damit sich die Schuhe beidseitig gleich abnutzen konnten. Nach Gründung einer Leistenmacherei wurden diese jedoch von den Schuhmachern abgelehnt, deswegen eröffnete er eine eigene Schuhmacherei und beschäftigte 12 Gesellen. Der Erfolg war ihm sicher!

Hier wurden die ersten Schuhleisten ausgestellt ausserdem Bilder seiner Arbeiter und sein persönlicher Werdegang . Es wurden für Lehrlinge Anatomie-Unterricht während der dreijährigen Ausbildung zum Facharbeiter zur Pflicht – genauso wie sämtliche Schritte des Arbeitsprozesses. 1928 richtete das Unternehmen eine eigene Werkschule ein, in der täglich eine Stunde unterrichtet wurde.
Benscheid war ein fortschrittlicher Arbeitgeber in seinem Betrieb herrschte Rauchverbot und jeder Arbeiter hielt sich daran. Aus diesem Grund wurde auch die Brandversicherung reduziert und da es zu Carl Benscheids Prinzipien gehörte dass auch Arbeiter in einer gesunden Umgebung nur ihr Bestes geben können , waren die Arbeitsplätze dementsprechend auch gestaltet. Der Krankenstand reduzierte sich fast auf Null. Und was wir hier zu sehen bekamen hat Seltenheitswert. In dieser – Benscheids Fabrik gab es eine Badewanne.
Seine These stimmte mit den Grundsätzen des Architekten überein der das neue Fabrikgebäude
von 1911 an baute.
Dieser junge Architekt Gropius hatte fast den gleichen Werdegang wie Benscheid. Und von 100 Bewerbungen die Gropius nach der Kündigung seines Arbeitsplatzes schrieb antwortete nur ein Einziger – nämlich Benscheid.

„Der Arbeit müssen Paläste errichtet werden wie dem Fabrikarbeiter, dem Sklaven der modernen Industriearbeit, nicht nur Licht, Luft und Reinlichkeit geben, sondern ihn noch etwas spüren lassen von der Würde der gemeinsamen grossen Idee für das Ganze.“

im nächsten Stockwerk sind u,.a. nicht nur die Baugeschichte der neuen Fabrikhalle sondern auch die Einrichtung von Benscheids Haus durch Gropius ausgestellt. Eine Küche, wie ich sie auch noch aus meiner Jugendzeit kenne. Spülstein, Küchenhexe, Regale alles funktionell und klar. Keine Verschnörkelungen und alles in weissem, hellen Lack. Denn auf hellem Grund sieht man Verschmutzungen viel leichter und es ist auch schnell sauber zu halten. Nur die Sitzflächen der Stühle, die Arbeitsfläche waren „holzsichtig“, weil man diese mit Scheuersalz reinigen konnte – wie es damals üblich war.

Benscheid war sich immer seiner Herkunft aus kleinen Verhältnissen bewusst und sah zugleich den Nutzen den eine zufriedene Belegschaft für die Bilanzen hatte. Aus- und Weiterbildung, Gesundheitsvorsorge, Arbeitssicherheit – Werkswohnungen die in grossem Umfang gebaut wurden, später eine eigene Krankenkasse und betriebliche Altersvorsorge – all das hatte er den anderen Betrieben voraus. Jedem der sich an die Regeln hielt war ein garantierter Arbeitsplatz mit allen Vorteilen sicher.
Im nächsten Stockwerk wurde gezeigt und dargestellt was Schuhleisten für die Fußgesundheit bedeuten.
Es sind Lehrlingsübungsstücke unter Glas ausgestellt – die Herstellung eines Leistens für die maschinelle Schuhproduktion erfordert höchste Präzision, Und für die Ausbildung zum Schuhleisten-Modelleur wurden sogar psychologische Eignungstests angewendet.
Ein Schuhbügeleisen der 1950-er Jahre war ausgestellt – dieses Produkt wurde ursprünglich nicht in Benscheids Fabrik hergestellt – aber es hat Benscheid dazu veranlasst selbst verbesserte Modelle zu entwickeln.
Ein Film zeigt wie viele Teile für einen Schuh benötigt werden. 62 Stücke die zusammengesetzt einen Schuh ergeben – und auch die Fertigung wird Schritt für Schritt vom Leder bis zum fertigen Schuh in diesem Film erklärt.

Modelle des neu erbauten Fabrikgebäudes – deren Fronten vornehmlich aus Glas und Beton bestand sind hier ausgestellt.
Das Primäre sind die Proportionen – sie sind es die die griechischen Tempel klassisch in ihrer Schönheit machen wird hier Arne Jacobson Architekt und Designer zitiert.

Im 4. Stock dann hundert Jahre Schuhmode – von der Sandale über Pantolette bis Stöckelschuh, Blockabsatz und Ballerina zeigen die Modelle auch Kinderschuhe. Dann sind auf mehreren Podesten die Schuhe von Persönlichkeiten ausgestellt. Von Merkel z.B. oder Oppermann, Ralf Schumacher oder aber auch Luis Trenkers Bergschuhe – je nach Person von derb bis sportlich oder elegant.
Ein Schuhmessgerät ist ausgestellt – von weitem sieht es aus wie eine lange Tabakspfeife.

Dass auch Adolph Kolping in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Leisten fertigte, war mir neu – aber hier wurde eine Replik gezeigt von der das Original im Kolpinghaus in Kerpen ausgestellt ist.
Kolping war bekannt als Priester - „Gesellenvater“ und Mitbegründer der katholischen Soziallehre.

Das Schönheitsideal der Zeit diktierte schmale und spitze Schuhe. Kneipp und auch Benscheid kämpfen gegen diese 2Verkümmerungsmaschine Schuh“.
Jeder Schuh hat eine gute Passform wenn Schuh und Fuß zueinander passen. Passfähigkeit, Passgenauigkeit sind gefragt. Ein maßgeschneiderter Schuh hat seinen Preis – 1500,--€ und mehr ) und gelten als Prestigeobjekt.
Und hier sehen wir auch zwei riesengrosse Fußabdrücke am Boden die die jeweiligen Fußreflexzonen zeigen und beschreiben. Denn bereits vor über 5000 Jahren behandelten chinesische Ärzte Krankheiten durch Druckmassage. Auch bei der modernen Fußreflexzonen-Massage soll der Druck auf entfernt liegende Körperteile wirken. Hier wird die Amerikanerin E. Ingham erwähnt die mit ihrem Buch „Geschichten, die die Füße erzählen“ einen Beitrag leistete.

Ein Arbeitsplatz mit einem Leisten, verschiedenen Feilen und einem Schild:“Bitte versuchen Sie selbst einmal einen Schuhleisten zu modellieren“ bildete den Abschluss unseres Rundganges.
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Dorle
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Registriert: Mittwoch 8. Dezember 2021, 13:54

Re: Unesco Welterbe

Beitrag von Dorle »

Liebe Johanna....

ich hoffe, du hattest dort gestern einen schönen Tag....

dein Bericht ist interessant zu lesen... :wink3:
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Re: Unesco Welterbe

Beitrag von Johanna »

Danke dorle. J a es war sehr interessant aber auch anstrengend
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