Sind Sie bedürftig?

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
Antworten
Benutzeravatar
Johanna
Beiträge: 4362
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
Wohnort: Nordhessen

Sind Sie bedürftig?

Beitrag von Johanna »

Sind Sie bedürftig?

Gestern, Sonntag waren wir wieder im Museum in Hildesheim. Es ist unser 4. Besuch dort und jedes Mal sieht man anderes, wurde ein neues Projekt für das Publikum vorgestellt.
Dieses Mal haben wir uns diverse Dinge angeschaut, die wir u.a. bei unseren vorherigen Besuchen nicht genau „unter die Lupe“ nahmen.

Der gläserne Mensch ist nicht aus Glas gefertigt, auch wenn der Name es vermuten lässt. Der Mensch besteht aus transparentem Kunststoff Cellon und wurde vom Deutschen Hygiene Museum Dresden entwickelt. Seit den 1930er Jahren werden diese Modelle dort hergestellt und weltweit exportiert. Der Prototyp wurde bereits 1927 konzipiert und gebaut und 1930 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Dies löste einen Sturm bei Zuschauern, Presse und Wissenschaft aus – es stellte das erste dreidimensionale Anschauungsmocdell dar. Die vorher üblichen anatomischen Zeichnungen, Wachsmoulagen oder Präparate konnten ja immer nur Teilaspekte vermitteln.

Das Modell stand auf einem Tisch – unbeleuchtet war hier das innere des Menschen glasklar zu sehen, allerdings konnte man bei diesem Modell auf dem Tisch befindliche verschiedene Knöpfe drücken und das jeweilige Organ oder der jeweilige Teilbereich des Körpers wurde beleuchtet.

Sichtbar sind das Skelett, die Nervenbahnen, die inneren Organsysteme – Blutgefässe, Lunge, Herz – alles wird durch Lampen auf Knopfdruck erleuchtet. Dafür sind mehr als 40 Glühlampen verbaut. Die Gesamtzahl der in einem gläsernen Menschen verbauten Teile beträgt ca. 1200 und ist somit gleichzeitig ein Studienobjekt.

Als gesichert gilt dass Versal einen Tizianschüler mit der Zeichnung von detailgenauen Abbildungen beauftragt hat Wahrscheinlich hat Versal selbst einige Zeichnungen eines menschlichen Körpers selbst hergestellt. Dies war der Beginn der modernen Anatomie und stellte einen Bruch mit den Dogmen der mittelalterlichen Medizin dar. Denn die Lehren Galens waren lange maßgebend in der Medizin.

Versal selbst war später Leibarzt Kaiser Karl V. Der 1564 starb. Das Werk Versals umfasst zahlreiche Schriften vor allem zur Chirurgie. Er war ein ausgezeichneter Chirurg, der durch seine anatomischen Studien die auf eigener Anschauung basierten, den resultierenden Erkenntnissen daraus zum Durchbruch verhalf.
Versal gilt neben Leonardo da Vinci als einer der Begründer einer eigenen Kunstrichtung – Anatomie und Kunst haben sich seitdem gegenseitig befruchtet.

Die Entdeckung des menschlichen Blutkreislaufs war William Harvey zu verdanken. Der römische Arzt Galen hatte geglaubt dass das Blut täglich neu aus der Nahrung in der Leber produziert wurde.

Erst William Harvey konnte im 17. Jahrhundert diese Annahme widerlegen. Er erkannte dass das Blut in einem Kreislauf vom Herzen durch den Körper gepumpt wird. Von der rechten Herzkammer wird das Blut in die Lunge transportiert, nimmt neuen Sauerstoff auf und gelangt dann von dort aus über den linken Vorhof des Herzens in die linke Herzkammer wo der Kreislauf von vorne beginnt.

Die Bilder und die Entwicklung der Pocken waren drastisch dargestellt. Es war eine gefährliche Infektionskrankheit die über die Jahrhunderte Millionen von Menschenleben forderte. Die Krankheit hinterliess jahrelange Immunität wenn man sie überstanden hatte. Trotzdem suchte man fieberhaft nach einem Weg die Immunität künstlich zu erzeugen. Die Entwicklung des ersten Impfstoffes gegen die Pocken fand vor ca. 1000 Jahren in Asien statt.

Der englische Arzt Jenner führte 1726 ein sicheres Verfahren der Vakzination ein. Und dank der Pockenschutzimpfung gelang es diese Krankheit weltweit auszurotten.
Eine gefahrlose Alternative wurde im 18. Jahrhundert mehr durch Zufall entdeckt. Denn ungefähr zur gleichen Zeit stellten Deutsche und Englische Ärzte fest, dass Menschen die sich mit den für sie harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, nicht mehr an den echten Pocken erkrankten.

Wir beendeten unseren Rundgang in dieser Abteilung und kamen wieder zum Aufzug um mit ihm in das Erdgeschoss zurück zu kehren. Hier stand eine Dame die uns ansprach. Wir wußten zuerst nicht, was sie wollte, bis sie sich erklärte.
Diese Dame trug über die Schulter eine breite Stange an welcher ein dunkelbrauner Umhang ringsherum befestigt war. An diesem Umhang waren vorne auf der einen Seite grössere Pflanzenblätter, auf der anderen Seite ein kleines Bündel Strohhalme befestigt. Sie konnte mit ihren Armen diesen „Vorhang“ auf“klappen“, zur Seite heben und darunter sah man ihr Kleid und jeweils auf jeder Seite einen Holzeimer, der mit dicken Schnüren an dieser Stange welche auf ihren Schultern ruhte, befestigt war.
Sie fragte uns:“Sind Sie bedürftig? Ich kann Ihnen helfen – wenn Sie hier Platz nehmen wollen, zum säubern habe ich einmal weiche saubere Pflanzenblätter, falls Sie etwas stärkeres benötigen, kann ich Ihnen mit dem Strohbündel auch aushelfen.“ Und erst da begriffen wir was uns diese Dame mitteilen wollte. Sie stellte eine Art Toilettenfrau her, die es in „grauer Vorzeit“ wohl wirklich gab, wie sie erklärte. Auf ihre beiden holzfarbenen Eimer angesprochen meinte sie dann trocken:“Ich trage doch keine schweren Holzeimer durch die Gegend – das sind Kunststoffeimer“ Dabei lachte sie….

Bild
Benutzeravatar
Dorle
Beiträge: 776
Registriert: Mittwoch 8. Dezember 2021, 13:54

Re: Sind Sie bedürftig?

Beitrag von Dorle »

Hallo Johanna,

sicher hattest du wieder einen schöne Tag im Museum in Hildesheim.... :wink3:
Dein Beitrag ist interessant zu lesen.

Sind diese "Toilettenfrauen" damals durch die Ortschaften gezogen oder fand man sie, wenn Markt im Dorf war?

"Kunststoff"-Eimer gabs ja damals noch nicht...für's "Geschäft"... :lol:
Benutzeravatar
Johanna
Beiträge: 4362
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
Wohnort: Nordhessen

Re: Sind Sie bedürftig?

Beitrag von Johanna »

Nein kunststoffeimer waren damals noch nicht in Gebrauch. Diese Damen uebten den Beruf des abtrittsanbieters aus und es gab sie nicht nur an markttagen
Antworten

Zurück zu „ReiseBerichte“