Mittelaltermarkt in Huttwil

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Mittelaltermarkt in Huttwil

Beitrag von Johanna »

Dies war der letzte Ausflug in der Schweiz bevor ich wieder meine Rückreise nach Deutschland antrat.
Bereits am Tag vorher suchten wir im Internet nach einer Möglichkeit einen Ausflug zu machen, der uns nicht gerade in die dickste Regenfront geraten ließ. Überall wurden Regenschauer vorhergesagt und wir entschieden uns für einen Ort, wo die Schlechtwetterfront nach Aussagen der Wetterfrösche erst am Nachmittag eintreffen sollte. Huttwil im Oberaargau des Kantons Bern – hier sollte ein Mittelaltermarkt stattfinden.
Nach der Fahrt erreichten wir den Platz, stellten das Auto ab und gingen zum Einlass. Schon hier wurde es richtig mittelalterlich: Die Kostüme, Ritterfräulein, Marketenderin oder auch Ritter und Gaukler waren bereits hier zu bewundern. Wenn man ein mittelalterliches Kostüm trug, war man vom Wegzoll befreit. Alle anderen Personen hatten diesen am breiten Eingangstor zu entrichten. Daneben war ein grosses hölzernes Tor aufgebaut, welches mit vielen Verriegelungen, Schlössern, Haken und Bolzen bestückt war. Wer dieses Tor durch logisches Überlegen und Bewegen der einzelnen Vorrichtungen öffnen konnte, brauchte auch keinen Wegzoll bezahlen.
Auf dem Areal des Spycher-Handwerks waren nicht nur Stände aufgebaut – man sah Ritterkämpfe, die in mittelalterlichen Ritterkostümen dargeboten wurden. Keine leichte Aufgabe sich mit schwerem Kettenpanzer, Schwert und Schild leichtfüssig zu bewegen und die Angriffe des Gegeners abzuwehren. Auch Frauen sah man unter den Helmen und Kettenhemden kämpfen. Später wurden auf dem gleichen Areal mittelalterliche Tänze mit Musik dargeboten – und die Zuschauer konnten daran teilnehmen – Polonnaise wie zu der Zeit des 13. oder 14. Jahrhunderts.
Alle möglichen Tiere – angefangen vom Kamel bis zu Wollschweinen waren in großen Gehegen – die Wolle wurde vor aller Augen mit einfachsten Mitteln verarbeitet. Gekämmt, entfettet, gefärbt mit natürlichen Stoffen wie Zwiebelschalen, Nuss-schalen, Tannengrün usw. dann wurde die Wolle gesponnen und gewebt bzw. gefilzt und auch verstrickt. In einem grossen Laden konnte man n icht nur gefilzte Schuhe in allen Farben und Grössen erwerben, Wolle zum stricken und zum Weben. Webstühle und Spinnräder waren ausgestellt und es wurden Kurse angeboten, um dieses Handwerk zu erlernen. Stoffe, Bänder in allen möglichen Farben und Mustern lagen auf den Tischen bereit – ebenso waren Betten ausgestellt – Sehr schön, verschiedene Grössen, Matratzen und Federbetten gleich inclusive. Alle Arbeitsgänge wurden von den Ausstellern und Handwerkern mit viel Enthusiasmus gezeigt. Erklärt – jede Frage beantwortet. Bei den Pferchen der Schweine konnte man einem Handwerker über die Schulter schauen, wie er Würste herstellte. Fleisch, Speck, Gewürze – mehr kam nicht in den Naturdarm hinein. Auch ganz ausgezeichneter Bienenhonig in verschiedenen Geschmacksrichtungen sowie Honiglikör wurde feilgeboten. Es gab so viel zu sehen, dass man sich nicht alles merken konnte. So waren mindestens zwei Rundgänge angesagt. Das schönste für mich waren die Handwerker, die Holzschnitzarbeiten herstellten. Aus einem Baumstamm wurde ein plastisches Bild hergestellt, man konnte bereits den sich hinduckenden Hasen am Boden erkennen. Wieviel Mühe es kostete Stück für Stück aus dem Stamm zu schnitzen. Ein anderer Handwerker schnitzte einen Löffel – ich setzte mich auf einem Strohballen dazu und schaute ihm bei der mühsamen Arbeit zu. Die kleinen Kinder hatten einen Riesenspass, wenn sie sich in das Kettenkarrussell setzten und die Väter durften dann diese Sitze mit den Ketten bewegen, damit das Karussell in Fahrt kam. Die Zelte der ausstellenden Handwerker und Künstler konnte man betrachten, denn diese blieben ja nicht nur einen Tag und mussten irgendwo schlafen. Einige Rundzelte – wie in der Mongolei üblich standen auf einem separaten Platz. Die Zelte waren sehr gut ausgestattet – mit dicken Teppichen ausgelegt, altertümliche Stühle, die man wie Scheren zusammenklappen kann standen manchmal vor den Zelten und luden zum verweilen ein. Manche waren mit Handarbeiten belegt….und es gab auch „Lagerfeuer“ wo an Gestellen und Haken Töpfe über dem Feuer hingen in denen schmackhafte Suppen brodelten. Gegrillt wurde über offenem Feuer auf Rosten – es duftete verlockend.
Es wurden auch Kostüme und mittelalterliche Kleider angeboten – alles handgearbeitet – die Nähkünste der Frauen waren hervorragend – dementsprechend waren aber auch die Preise. Doch gute Arbeit will entlohnt sein!
Kerzenmacherinnen boten ihre Waren an genauso wie Goldschmiede. Zur Mittagszeit suchten wir uns einen Platz in der Scheune, die mit Bänken und Tischen zu einer Rast einlud. Hier gab es ein Buffett mit rustikalen Gerichten und Getränken. Ein Rittertopf – sehr schmackhaft und sättigend – Fleisch am Spiess mit Kartoffelsalat. Für die Becher wurde Pfand verlangt, welches man bei Rückgabe wieder zurück erhielt. So wird Abfall vermieden!
So stelle ich mir einen wirklichen Mittelaltermarkt vor – ganz genauso! Ich habe jede Minute genossen, habe mit Interesse den Künstlern, Handwerkern und auch den „Rittern“ und „Knappen“ bei den Kämpfen zugeschaut. Und für mich war der Holzschnitzer, der den Hasen aus einem Baumstamm herausgearbeitet hatte die grösste Attraktion!
Alles in allem ein wunderbarer Tag – bei dem es auch Petrus gut mit uns meinte, denn der „grosse“ Regen setzte erst ein als wir wieder zu Hause waren.
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