Erbarmungslos

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Erbarmungslos

Beitrag von Johanna »

Erbarmungslos

Uwes Geburtstag 2024 – da habe ich mir etwas besonderes einfallen lassen – Besuch der Stiftsruine in Bad Hersfeld. Bad Hersfelder Festspiele sind bekannt - ich war mit meinem verstorbenen Partner öfters dort um Aufführungen anzuschauen.
Dieses Jahr also wieder nach langer Zeit ein besuch der Festspiele – das Stück „A Chorus Line“.
Dieses Musical war mir vollkommen fremd und ich war einfach nur neugierig. Den Inhalt erfuhr ich aus einer Broschüre, die dort auslagen.

In Bad Hersfeld angekommen steuerte Uwe direkt das Parkhaus in der Altstadt an, denn ich sagte ihm, dass wir in keinem Fall auf dem grossen Parkplatz (Lingplatz) unser Auto abstellen können.
Das Parkhaus ist nach Aussagen von Kunden-Rezessionen behindertengerecht und als wir dort ankamen fanden wir wirklich Aufzüge, breite Wege die uns das parken, ein-und aussteigen und auch den Zugang zum Parkhaus erleichterten.
Wir wandten uns dem Lingplatz zu und sahen, dass dort Marktstände abgebaut wurden. Wochenmarkt war wohl angesagt und der Parkplatz erwartungsgemäss ausgebucht.
Wir schauten uns die Geschäfte an und ich bemerkte, dass es sehr viele Veränderungen gab, positive Veränderungen. Andere Geschäfte, die Anlagen sehr gepflegt. Nur am Lingplatz das erste Haus am Platz, hier hatte sich rein äusserlich nichts am Hotel Stern geändert. Auch die Nachbarrestaurants, alles wie gehabt. Dann gingen wir zur Stiftsruine und auch hier viele bauliche Veränderungen – kein Bretterbudenzaun mehr – der Eingang für Rollstuhlfahrer neu – breit und sehr ansprechend. Der Haupteingang war noch geschlossen, so dass ich keinen Blick hinein werfen konnte. Hinter der Stiftsruine waren Zelte mit Bewirtschaftung aufgebaut, neu für mich auch die Abendkasse die in Containern vor der Stiftsruine aufgebaut waren. Sehr gepflegt mit viel Blumen bepflanzt der Zugang zum Staudengarten.
Und überall Bänke, die zum ausruhen einluden. Auch vor dem grossen Turm der Ruine war ein schön bepflanztes Rondell.
Innenausbau – für mich neue Böden, bessere Bestuhlung, und vor allen Dingen der Zugang zu den einzelnen Plätzen viel komfortabler wie es früher war. Hier haben sich einige positive Veränderungen ergeben.
Wir nahmen unsere Plätze ein – Uwe in der ersten Reihe ich davor auf einem Rollstuhlplatz – so hatten wir allerbeste Sicht. An der Decke war das Dach ausgefahren um bei evtl. einsetzendem Regen die Zuschauer vor dem himmlischen Nass zu schützen.
Das Stück begann – die Musiker erschienen und nahmen im Orchestergraben Platz.

Die Musik schmissig, mitreissend und die Handlung? Wer achtet schon auf die Teilnehmer im Hintergrund….egal ob vorne nur ein Sänger steht oder ein Akteur.

Die Leute aus dem Hintergrund werden hin diesem Musical in den Vordergrund gestellt.
In den USA war die Situation der Tänzerinnen und Tänzer in den 70er Jahren nicht gerade leicht, viele Broadway Theater mussten schliessen und der Kampf um die Jobs begann. Zwei der Tänzer nahmen diese Angelegenheit deswegen selbst in die Hand und produzierten ein Musical welches ihre eigene Situation zum Thema hatte. Am Anfang stand nur fest, dass die Erfahrungen und Geschichten der Künstler und Künstlerinnen im Mittelpunkt stehen sollte.
Und genauso kam es dann auch – die Teilnehmer erzählten ihre ureigene Geschichte und alle Gespräche wurden aufgezeichnet und sortiert.
Der Gründer der Shakespeare-Festivals stellte dem Team Räume zur Verfügung und er sorgte auch dafür dass sich Schreiber, Songtexter und Komponisten für diese Sache interessierten.
Schon bald wurde die Grundidee für das Musical gefunden; Es sollte eine Audition zeigen „Ich denke das Audition System , vor allem für Musicals, kommt dem am nächsten was bereits die Römer gemacht haben, als sie die Christen den Löwen zum Fraß vorwarfen – es ist einfach nur brutal“ und erbarmungslos.
Denn der Regisseur sucht unter allen Bewerberinnen und Bewerbern nur 4 Tänzerinnen und Tänzer.
Der Regisseur nimmt seine Sache sehr genau und will Menschen und ihre Geschichten kennen lernen. Er fragt nach persönlichen Einzelheiten, warum sie bereit wären die ganzen Schikanen dieses harten Berufes auf sich zu nehmen? Von allen Bewerbern haben es 18 geschafft in die dritte Auswahlrunde zu kommen. Hier beginnt das Musical für uns Zuschauer…..

Wir erlebten als Zuschauer ein rigoroses Auswahlverfahren – wir erleben wie die verschiedenen Tänzer und Tänzerinnen ihre Geschichte bruchstückhaft erzählen. Untermalt wird alles mit mitreissenden Songs. Auch die frühere Geliebte des Regisseurs ist unter den Solotänzerinnen und wir erleben ihre ganz persönliche Geschichte. Aber für alle bleibt die Frage: wer wird das Auswahlverfahren schaffen. Ganz besonders erhebt sich die Frage als sich einer der Tänzer beim Tanzen verletzt. Hier wird auch die Frage beleuchtet wie es nach der Bühnenkarriere weitergehen könnte.
Es wurde keine Showbühne gezeigt, sondern nur ein leerer Probensaal mit Spiegeln und Trainigsklamotten – hier stehen wirklich nur die Menschen und ihre Geschichten im Fokus. Ein schwarzer Tänzer, eine Tänzerin mit asiatischen Wurzeln, Mike hat eine italienische Familiengeschichte und Diana eine puerto-ricanische, auch das Thema Homosexualität als Normalität und nicht als Teil eines Problems war in den 70ern richtungsweisend für das Musicalgenre.

Neu war auch die Entstehungsgeschichte denn alle Tänzer und Tänzerinnen hatten gemeinsam das Recht ihre Sicht der Dinge kund zu tun – während des Schreibprozesses wurde das aufgezeichnete biografische Material durcheinander gewürfelt, Charaktere zugespitzt, neue Details ergänzt usw. Und der Komponist komponierte Melodien und Songs erst während der Workshop-Phasen, damit man sie direkt ausprobieren konnte.

So entstand ein kunstvolles Kaleidoskop von Erinnerungen und Gedankenfetzen und 1976 räumte das Musical bei den Tony Awards 9 von 13 Preisen ab. Ein Jahr nach der Uraufführung hatte A Chorus Line Premiere am Londoner East West-End. 1980 fand die deutschsprachige Erstaufführung in Berlin statt.

An dem Audition System hat sich seit den 70er Jahren wenig geändert. Die Darsteller arbeiten frei, müssen sich immer wieder neu bei Castings bewähren um einen Job zu bekommen. Musicals erfordern in der Regel drei perfekt beherrschbare Disziplinen: tanzen, singen und schauspielern. Das Damoklesschwert schwebt ständig über ihren Köpfen, Verletzungen, die eine berufliche Laufbahn sofort beenden können und was man nicht vergessen darf: diese Karriere ist wie im Spitzensport nicht auf ewig angelegt.
Doch auch das sagt dieses Musical aus:“Ich weiss dass ich nichts bereue, denn ich habe gemacht, was mein Herz mir sagt.“
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