Über den Löffel barbieren

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Über den Löffel barbieren

Beitrag von Johanna »

Über den Löffel barbieren?
Meistens kennt man das als betrügen – jemanden betrügen. Aber das ist nicht die ursprüngliche Bedeutung.
Wahlsonntag und was kann man dann machen? Wir haben einen Zeitungsausschnitt von einer Bekannten bekommen in welchem es um eine Sonderausstellung über Puppen und Puppenstuben geht. Eigentlich für einen halben Tag sehr weit, aber wir fahren trotzdem los.
Unterwegs halten wir an um uns mit einer Mahlzeit zu stärken. Ausserdem sammelt Uwe noch auf der Fahrt Birnen, die von den Bäumen gefallen sind. Leckere Birnen die auch kaum geplatzte Stellen durch das herunterfallen zeigen. Wir haben einen Autokorb dabei und nehmen so einige Früchte mit.
Wir kommen in Arnstadt etwas später an wie gedacht. Ausgeschildert ist diese Ausstellung nicht, aber zwei reizende junge Mädchen erklären uns den Weg zum Schlossmuseum. Dort erkundigt sich Uwe wo er das Auto parken kann und die Dame an der Museumskasse meint:“Ich bin heute hier allein und kann selbst bestimmen. Fahren Sie doch auf den Hof des Schlosses“. Wir umrunden das Schloss, Uwe packt den Rollstuhl aus und wir bezahlen bei der Kasse unseren Obulus. Erhalten neben einer Ermässigung eine kleine Taschenlampe und einige Hinweise, dann geht es los. Ganz ohne „Stolpersteine“ geht es nicht ab, aber ich habe ja auch eine meiner Gehhilfen dabei. Durch einen Nebeneingang kommen wir zu der Ausstellung und beim Eintritt steht man sprachlos vor diesen Kostbarkeiten. Wir wir erfahren wurde diese Sammlung über 50 Jahre lang zusammen gestellt und wie ich dann später auch lesen durfte stürzte sich die Initiatorin mit der einzigartigen Puppensammlung „Mon plaisir“ immer wieder ständig in Schulden.
Fürstin Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt bekam von ihrem Gemahl ein Grundstück von damals 38 Ackern Land zur Errichtung eines Lustschlosses.
Die Fürstin gab sich in der Abgeschiedenheit ihres Luftschlosses ihrer künstlerischen Sammelleidenschaft hin wobei hierzu auch Porzellane, Gemälde, Schmuck und auch andere kunsthandwerkliche Erzeugnisse zählten.
Die Fürstin verschuldete sich sehr hoch- eine Tatsache die auch im Zusammenhang mit der aufwendigen Anfertigung ihrer Puppensammlung zu sehen ist. Ihr Gemahl Fürst Anton Günther übernahm bis zu seinem Tod allein 18000 Reichstaler trotzdem hinterliess die Fürstin bei ihrem Tod einen Schuldenberg bei ihren Bedienten von 3559 Reichstalern an Besoldung. Obwohl sie beim Ableben ihres Gemahls eine Abfindung von 24000 Reichstalern erhielt, das Ursulinenkloster ihr 600 Reichstaler lieh, erlöste sie das Ganze nicht von einem Schuldenberg.
Die Puppenhäuser sind sehr aufwendig gestaltet, für jede Situation der gehobenen Gesellschaft sowie der einfachen Leute ist ein Puppenhaus mit sämtlichen Einrichtungsgegenständen vorhanden.
Viele kleine keramische Erzeugnisse wurden in der Fayencemanufaktur hergestellt. Die Produkte dieser Puppensammlung lassen sich bis etwa 1735 datieren.
Auch die kunstvoll angefertigten Köpfe der Puppen wurden von talentierten Mönchen die Wachspoussierer waren, hergestellt. Bei einigen ist die Mitarbeit an „Mon plaisir“ nachweisbar.
Durch die grosszügige Leihgabe der Ursulinen wurden auch eine katholische Kirche – Mönche im Chorgestühl gefertigt.
Eine Schreinerei zeigt den Schreiner der in einem weiss gestrichenen Raum arbeitet. Detailgetreu wurden die zeitgenössischen Werkzeuge und in Arbeit befindlichen Gegenstände gezeigt, z.B. eine Örtersäge, Löffelbohrer, Winkelschiene kleine Stich und Stemmeisen.
In der Drechslerei kann man sehen dass zu dieser Zeit Werkstatt und Lebensraum nicht getrennt waren. Neben einer Bäckerei sah man den Verkaufsstand der Schlächterei. Hier auch im Detail eine Szene zwischen einer Bettlerin und der Fleischersfrau. Taschen, Kleidung, alles war auf das genaueste nachgebildet.
Das Zimmer einer „Mohrenfamilie“ war oft obligatorischer Gegenstand eines Hofstaates.
Und das Kürzel „AD“ unter der Fürstenkrone auf dem Apothekerschrank hat sicher dazu geführt dass diese Apotheke als Hofapotheke bezeichnet wurde. Vor dem Verkaufstisch des Apothekers wartete ein Bauersmann auf seine Medizin – der Apotheker wiegt die Zutaten ab und die vielenSchubladen und Gefässe in den Schränken zeigen Schilder wie Rosenwasser oder „Melissen-Wasser“ oder Pomeranzen-Rosolis“ usw.

In den Puppenhäusern „Mon plaisir“ wurden allerdings nicht nur Puppen, sondern auch Tiere nachgebildet. So sieht man Pferdekutschen, Reiter, Hunde usw. Poststationen an denen die Passagiere ein- oder umstiegen, die Pferde gewechselt wurden. Diese Einrichtungen dienten gleichzeitig als Poststationen.

Für den fürstlichen oder adligen Hausstand wurden auch Puppenhäuser hergestellt die z.B. Wäschekammern zeigten, mit Schränken voller gefalteter Wäsche, Wäschepressen, Wäsche plätten oder auch Bolzenbügeleisen bieten einen Einblick in die damalige Hauswirtschaft.

Die Werkstatt eines Schneiders war ein einfacher weisser Raum mit einer Verbindungstür zu seiner Schlafkammer. Der Schneider arbeitet sitzend in einem halbkreisförmigen Loch der Tischplatte und als Werkzeug liegen Ärmelplätte, Fingerhut, Schere und Elle parat. Ein Korb mit anderen Dingen steht neben ihm auf dem Tisch.

Die Aufgabe des Küchenschreibers war Lebensmittel für die Hofküche zu beschaffen. Der Raum war mit allerlei Gefässen, einem mit vielen Schubladen ausgestatteten Vorratsschrank, einem Tisch und Stühlen, Bottichen und Waage ausgestattet.

Die Hofküche liess das Herz jeder leidenschaftlichen Köchin höher schlagen – Töpfe, Pfannen, Kuchenformen in allen möglichen Größen und Ausführungen, Suppenkellen, Küchengerätschaften wie man sie früher und teilweise auch heute noch nutzt konnte man sehen,. Der grosse Kamin in dem ein grosser Topf über einem Feuer stand, die Teller und Schüsseln, Zinnlöffel in einem Hängegestell Krüge, eine Reibe Kasserolen – selbst ein grosses Kaminbild – eine Familienszene in holländischer Art durfte nicht fehlen. Der Ausguss neben der Tür korrespondiert mit einem an der Aussenwand der Puppenstube befindlichen Zufluss . Die blauen Fliesen im unteren Teil der Küche sind gemalte Imitate.

Es gab prachtvolle Ausstattungen der verschiedenen Puppenhäuser – die Wochenstube wo die Dame Besuch empfängt – die Amme das Kind umsorgt oder das Zimmer in welchem zwei Bedienstete das fürstliche Bett der Herrin richten. Die grosse Bettpfanne in welchem Kohleglut erhitzt wurde zum Anwärmen des Bettes durfte auch nicht fehlen.

Die Damengesellschaft hatte genauso ihre eigene Puppenstube wie z.B. das Spielezimmer. Hier befindet sich der Herr des Hauses im Hausrock und die Dame in einem gelbseidenen Kleid. Das Brettspiel auf dem Tisch ist aufklappbar und ist oben mit einem Mühle, und unten mit einem Damebrett versehen.

Eine andere Puppenstube – das Musikzimmer – wurde wegen der farbig gemalten Tapete mit Hirsch und Bärenjagd auch als Jagdzimmer bezeichnet. Sogar die Hefte der Sopranistin und der Instrumentalisten (Klavierspieler- Flötist) waren mit Noten beschriftet. Das sogenannte Nürnberger Geigenwerk wurde 1575 in Nürnberg erfunden. An einem sonst wie ein Cembalo gebauten Instrument treibt ein von beiden Füßen getretenes Pedal ein grosses Schwungrad und bringt die Saiten in Schwingung.

Der kleinste Raum in diesen Puppenhäusern war die Stube des Philosophen mit seiner Bibliothek. Einige der Bücher sind – wie auch in anderen Puppenstuben – gedruckte Miniaturausgaben, wo auch die „Heiligen Erinnerungen groser Begierden und Warheiten „ aus dem Jahr 1721 zu finden sind.
Das Thronzimmer korrespondiert durch eine Tür mit der benachbarten Puppenstube „Visite“. Der vortragende Rat erscheint vor der im Thronsessel sitzenden Fürstin, die ein kleines Äffchen an der Kette hält. Der Raum ist mit einer Tapete aus japanischen Farbholzschnitten die auf eine Stoffbespannung geklebt wurden, ausgestattet.

Die Puppenstube des Frisörs ist mit einer Seidenbespannung und ausgeschnittenen Kupferstichen beklebt. Ein Spiegel ist in der Wand eingelassen und links steht ein Diener mit einem Barbierbecken und ein Handtuch über dem Arm für den hohen Herrn im Lehnstuhl. Neben Schere, Elfenbeinkamm und anderen Utensilien ist in der Puppenstube ein Löffel zu finden, In den Mund gesteckt und somit die Wangenhaut älterer Herren spannend,erleichterte er das Rasieren.
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