Kleider machen Leute.....

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Kleider machen Leute.....

Beitrag von Johanna »

Kleider machen Leute…...

„Queer“, das einstige Schimpfwort für Homosexuelle, ist zur Selbstbezeichnung für alle geworden, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen. Der Begriff zeichnet sich dadurch aus, dass er Identitäten nicht scharf abgrenzt, sondern sich selbst ständig verschiebt.
Nach unserer heutigen Vorstellung sind vergangene Epochen vermutlich geprägt durch erzkonservative Denkweisen und starre Regeln unseres alltäglichen Lebens.

Durch ein Queer Reading der Kunstwerke aus Antike bis zur frühen Neuzeit werden Perspektiven eröffnet die Andersartigkeit und ungewohnte Darstellungen in den Blickwinkel rücken. Hier gibt es einige Beispiele.
Bei den Beispielen ist der Pestheilige Sebastian ein gutes Beispiel denn er wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Ikone der Schwulenbewegung.
Die geschichtlich motivierten Ströme der Queer Studies bildeten sich vor allem in den 1990er Jahren im US-amerikanischen Raum heraus und sind heute zunehmend auch im deutschsprachigen Raum institutionalisiert.
Hierbei sind es in den klassischen Geschichten meistens die Frauen die ihre traditionellen Rollen verlassen und sich über die Männergesellschaft erheben. Auch Helden aus Bibel und Mythologie waren vor starken Frauencharakteren nicht sicher. Als Amazonen werden in griechischen Mythen und Sagen einige Völker bezeichnet, bei denen Frauen „männergleich“ in den Kampf zogen.

Samson verfällt Delilah, (sie schneidet ihm die Haare ab und er verliert seine Kraft) Herkules wird durch blinde Liebe zu Omphale vom Krieger zum Hausmann.
Anderes gilt für die Thematisierung gleichgeschlechtlicher Liebe - hier werden vor allem Gottheiten genutzt, denn da es sich nicht um gewöhnliche Menschen sondern um Gottheiten handelt gelten andere Regeln. Göttervater Jupiter und seine unzähligen Liebschaften - doch Ganymed entfacht in Jupiter eine besondere Leidenschaft. Bei der Nymphe Gallisto verwandelte sich Jupiter in deren Herrin Diana um sie zu verführen. Ist das hier dann wirklich lesbische Liebe oder nur männliche Vormachtstellung? Das Bild welches dazu ausgestellt ist, zeigt wie Jupiter in Gestalt der Diana Kallisto verführt. Da Kallisto allerdings Keuschheit geschworen hatte, verwandelte sich Jupiter um ihr Vertrauen zu erschleichen. Auch Tischbein hat dieses Motiv in einem seiner Bilder dargestellt. Die Strafe für diese Vergewaltigung wird allerdings nicht Jupiter auferlegt sondern allein Kallisto muss ertragen, dass sie verstossen und von Jupiters Gemahlin in eine Bärin verwandelt wird.

Ein weiteres Bild zeigt zwei sich umarmende Frauen. Eine der Frauen legt ihrer Kameradin einen Blumenkranz um wobei sie deren rechten Busen streift. Diese Berührung schafft einen unterschwellig erotischen Moment, welches die Mentalität der sinnenfrohen Barockzeit widerspiegelt.

Im alten Testament – Buch Genesis findet sich eine sehr deutliche Geschlechterordnung. Adam hat die Vormachtstellung, Eva wiederum wird zur Ergänzung geschaffen, ist sie doch diejenige die sich durch Satan in Gestalt der Schlange verführen lässt.
Bekannt ist, dass daraufhin die beiden aus dem Paradies vertrieben werden und Krankheit und Tod werden zum Bestandteil des menschlichen Lebens. Diese Auslegung der Bibel erfolge nur aus männlicher Perspektive und reproduzierte logischerweise auch den Beginn der Diskriminierung und Diffamierung die sich über binäre Geschlechterkonstruktionen hinaus entwickelte und bis heute nicht heteronormative Personen verfolgt.

Bei Moses heisst es: Schläft einer mit einem Mann wie man mit einer Frau schläft dann haben sie eine Gräueltat begangen und den Tod verdient. Dies galt lange Zeit als Rechtfertigung der Verfolgung von Homosexuellen. Dabei zeigt die Geschichte immer wieder Ausbrüche und Übertritte, Verhalten jenseits der Norm.

Ein Bild zeigt das Portrait einer kleinen hessischen Prinzessin. Im Gegensatz zum Jungenbildnis trägt sie ein schlichteres weisses Kleid und ihre Haare sind kurz gehalten. Sie füttert einen Hund der für eheliche Treue steht – das Füttern deutet die fürsorgliche zukünftige Mutterschaft an.
Der Prinz Ernst Victor von Hessen trägt bei diesem Kinderbild im Gegensatz zwar auch ein Kleid, aber seine Haare sind schulterlang und er spielt mit Zinnsoldaten. Dies ist der Hinweis zum Unterschied der Geschlechter und die dazugehörige Rollenverteilung, und verrät die Position des Vaters der im Militär diente.

Die Karikatur eines Bundestagssekretärs zeigt exemplarisch den Einsatz von Rollenübertritten zur Diffamierung einer Person. Hier ist dieser Sekretär mit einem rosa Ballettkleid, blonder Perücke und übermässig Rouge in tänzelnder Pose dargestellt – der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ebenso ist das Bild vom Struwwelpeter bekannt – er trägt auch ein Gewand, das wie ein Röckchen getragen wird.

Kleidung hat von jeher schon immer eine machtvolle Rolle in der Wirkung von Personen eingenommen. Dies galt bereits in der Antike und später auch beim französischen Hof - nach dem Motto „Kleider machen Leute“. Dieser geflügelte Satz zeigt bis heute die ungebrochene Macht des Textils und wird auch gezielt zur Provokation oder kritischen Hinterfragung genutzt. Dabei ist die direkte und öffentliche Wirkung und Sichtbarkeit damals wie heute ein wichtiger Aspekt. Aufgrund ihrer Fähigkeit Codes zu kommunizieren und ihres wechselhaften Charakters erlaubt Kleidung auch das unbeschwerte Spiel mit unterschiedlichen Rollen. Die ausgestellten Objekte zeigen verschiedene Dimensionen der Transgression über Dresscodes. Der antike Held Achill wird z.B. in Frauenkleidern vor dem Krieg versteckt – verrät sich aber selbst, da er sein männliches Verhalten nicht verbergen kann. Fürstliche Kinderporträts verdeutlichen, dass Rüschenkleider mit Nichten immer exklusiv für Mädchen reserviert waren.
Wenn man heute in ein Krankenhaus geht dann laufen des öfteren weiss gekleidete Männer herum die automatisch von Besuchern als Doktor angesehen werden, auch wenn sie es nicht in Wirklichkeit sind.

Es wird hier ein liegender Hermaphrodit gezeigt. Und hier sieht man dass bei dieser Bronze auf subtile Weise mit der Zweigeschlechtlichkeit gespielt wird. Je nachdem die männlichen oder die weiblichen Merkmale der Figur sichtbar gemacht sind. Der Begriff Hermaphrodit wurde in der Vormoderne für alle Personen verwendet, die nicht eindeutig in das binäre System von Frau und Mann passten, sei es körperlicher Natur oder nach sozialem Verhalten. Diese Figur ist somit ein Abbild dessen, was sich jenseits der geschlechtlichen Normen befindet.

Hier wird auch das Bildnis einer schweizer Bauerntochter gezeigt. Sie hat einen Vollbart, war 8 Jahre verheiratet. Das war erwähnenswert denn das Gemälde spiegelt die Aussergewöhnlichkeit in der Frühen Neuzeit wider. Denn dies wurde in der Frühen Neuzeit diskutiert, genauso wie Menschen die - egal ob Junge oder Mädchen – vollen Haarwuchs (nicht nur Bärte) hatten.
Hier kann ich mich an Zeitungsberichte erinnern, welche sogenannte Wolfskinder mit vollem Körperhaarwuchs zeigten.

Nicht nur Bilder wurden hier in dieser Sonderausstellung gezeigt, sondern es waren auch auf Spiegeln Kleider, Hüte, Mützen, Bärte aufgeklebt so dass sich vorbeigehende Personen so hinstellen konnten, dass sie sich mit diesen Dingen „bekleiden“ konnten.

Alles in allem hatten wir einen schönen kurzweiligen Nachmittag den wir mit einem Stück Kuchen und einer Tasse Kaffee bzw. einem anderen Getränk in Ruhe ausklingen liessen.
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