Die Zeiten ändern sich

 

Ob Urlaub oder Tagesausflug, wenn einer eine Reise tut, darf er uns davon erzählen
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Johanna
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Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 15:04
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Die Zeiten ändern sich

Beitrag von Johanna »

Die Zeiten ändern sich,

Das zeigte ganz deutlich das Stück welches Solomon Rabinowitsch schrieb.
Denn Tevje der jüdische Milchmann aus dem ukrainischen „Schtetl“ Anatevka ist „der Mann im Haus“. Er fühlt sich den Traditionen seiner Kultur eng verbunden.

Tevje hat 5 Töchter, die er gut verheiraten möchte – die Heiratsvermittlerin hat auch einen sehr aussichtsreichen, wohlhabenden Kandidaten für seine älteste Tochter, doch diese liebt einen armen Schneider, der nichts hat.

Liebe ist wohl etwas neues erkennt Tevje der ebenfalls von seinen Eltern mit seiner Frau vor mehr als 25 Jahren verheiratet wurde. Denn im Verlauf des Stückes wird Tevje immer wieder herausgefordert sich mit neuen Ideen auseinander zu setzen. Auch wenn diese mit seinen Glaubensgrundsätzen und Traditionen kollidieren.
Die Gespräche die er mit seinem Gott führt sind Monologe wie man sie auch in der alttestamentarischen Bibel findet. Man wird hier an Hiob erinnert wenn er deklamiert: “ Ich weiss, wir sind das Auserwählte Volk. Aber könntest Du nicht ab und zu auch mal ein anderes auserwählen?“

Seine Töchter als selbstbewusste junge Frauen, die sich ihre Ehemänner selbst auswählen – eine Herausforderung. Doch Tevje hat nur den Wunsch seine Töchter glücklich zu sehen und das schränkt seine Handlungsweise enorm ein. Er muss seine Glaubensgrundsätze gründlich überdenken.

Der aus der Stadt Kiew kommende jüdische Student Perchik b eschäftigt sich mit gesellschaftskritischem Gedankengut, ist davon überzeugt dass die jüdische Gesellschaft sich dieser neuen Ideen ghegenüber öffnen sollte. Er trägt den Geist des anbahnenden Kommunismus in sich . Perchik kommt nach Anatevka und versucht nicht nut bei den Töchtern Tevjes sondern auch bei der Dorfgemeinschaft den Blick für die drohenden Umwälzhungen des Zarenreiches zu schärfen. Er wird nach Sibirien verbannt und Tevjes zweite Tochter reist Perchik nach. Hodel die zweite Tochter sagt:“Ich lasse ihn nicht allein, ich möchte ihm bei seiner Arbeit helfen. Es ist die grösste Arb eit die ein Mann tun kann.“

In Tevjes grosser Solonummer „Ewenn ich einmal reich wäre….“ erfährt man dass er davon träumt nicht nur reich, sondern auch ein belesener Mann zu sein, Zeit zu haben die hebräische Bibel zu studieren und ihre Inhalte mit anderen Gelehrten zu diskutieren.
Deshalb steht ihm sicher seine drittälteste Tochter so nahe, da diese auch Bücher über alles liebt.

Chavas Freundschaft mit einem nichtjüdischen Russen beginnt mit dem Austausch von Wissen – in Form eines Buches welches er ihr schenkt. Für Tevje ist die Beziehung zu einem Nicht-Juden, noch dazu einem Russen undenkbar. Denn das würde bedeuten, dass Chava konvertieren würde, eine christliche Dehe führen würde und das ist aus jüdischer Sicht undenkbar. Man kann aus der jüdischen Gemeinde nicht austreten, wie aus einem Fußballclub. Das Bekennen zu einer anderen Religion gilt deshalb als sündhaft und wird mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft. Auch Tevje erklärt seine Lieblingstochter für tot und er spricht nicht mehr mit seiner Tochter. Es ist so, als ob Chava nicht mehr existiert.

Einen Nicht-Juden, Russen zu heiraten bedeutet aber auch dass man sich in einer anderen Volksgruppe zurecht finden muss. Die antisemitischen Strömungen im russischen Zarenreich werden schliesslich hier auch sichtbar. Bereits bei dem Pogrom von Zeitels Hochzeit und später dann durch die Vertreibung der gesamten jüdischen Bevölkerung aus Anatevka und den umliegenden Dörfern wird deutlich, dass es nicht einfach wird, als Jude unter anderen Volksgruppen zu leben.

Doch trotz Ausgrenzung und Vertreibung verlieren Juden wie Tevje scheinbar nie die Hoffnung. Die Bürde und auch Auszeichnung das „auserwählte Volk“ zu sein wird mit Humor getragen.

Ich wollte dieses Stück „Anatevka“ unbedingt sehen und so fuhren wir nach Erfurt zu den Domfestspielen, wo es in diesem Jahr aufgeführt wird.
Die Kulissen sind auf den Stufen zum Dom aufgebaut, ganz oben eine riesige Milchkanne mit einem Einschußloch, die Milch fliesst aus der Kanne über die Stufen, das zeigt die weisse Farbe. Auf der Frontseite eines nebenstehenden Hauses wurde per Projektion auch der Winter in Sibirien aufgezeigt.

In Erfurt lebten auch viele Juden, die durch Pogrome vertrieben wurden. Während des Mittelalters war die Erfurter Gemeinde mit ca 1000 jüdischen Mitgliedern, bedeutenden Gelehrten eine der wichtigsten ihrer Zeit. Das bringt auch das jüdische Museum – in der alten Synagoge - ins Bewusstsein. Hier sind Schätze ausgestellt, die teilweise durch Bauarbeiten und Grabungen in der Stadt gefunden wurden. Im März 1349 hatte ein jüdischer Geldhändler alles im Keller seines Hauses vergraben, kurz bevor die Welle der Judenverfolgung auch Erfurt erreichte.

Ein Stück welches auch heute noch immer seine Gültigkeit hat – es ist nicht auf Juden oder Christen beschränkt, sondern es zeigt das Leben – die Veränderung – Traditionen die ihre Gültigkeit teilweise verlieren, sich ändern. Es zeigt dass Toleranz und vor allen Dingen auch Liebe das grösste ist was das Leben bietet. Denn viele der Probleme und Herausforderungen mit denen die Akteure hier konfrontiert sind, bestehen auch heute hier und überall auf der Welt.
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